Rechtsinformationen für Pathologen

Ausgabe 18/2019 – Thema: Plausibilitätskontrollen bei Pathologen

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

aktuell werden in Nordrhein-Westfalen Pathologen einem Plausibilitätsverfahren unterzogen. Nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein sind hiervon „etliche“ Pathologen betroffen. Der Schwerpunkt der Verfahren scheint im Bereich der Bezirksstelle Köln stattzufinden und mindestens das Quartal II/2018 zu betreffen. 

 

Die Plausibilitätskontrollen beginnen für die Pathologen stets mit einem sehr freundlich gehaltenen Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung, indem festgestellt wird, daß die Pathologen an verschiedenen Tagen in dem betroffenen Quartal eine bestimmte Tagesarbeitszeit überschritten hätten. Bei einer Vollzulassung als Kassenarzt wird automatisch ein Verfahren auf Prüfung der Plausibilität eröffnet, wenn die arbeitstägliche Zeit an mindestens drei Tagen im Quartal mehr als 12 Stunden oder im Quartalsprofil mehr als 780 Stunden beträgt. Bei Ermächtigten und bei Ärzten, die lediglich über eine halbe oder viertel Zulassung verfügen, sind die Zeiten entsprechend geringer. 

 

Das Tückische an einem solchen Plausibilitätsverfahren ist, daß bei solchen Auffälligkeiten der Arzt gezwungen ist, sich zu exculpieren. Er muß darlegen und beweisen, daß die Zeitüberschreitung von ihm nicht zu verantworten ist. Gelingt ihm dies nicht, wird angenommen, daß er die Leistung zumindest teilweise nicht oder nicht selbst erbracht hat. Es kommt dann zu ganz erheblichen Rückforderungen seitens der KV. 

 

Die Kassenärztlichen Vereinigungen überprüfen mit Stichproben lediglich einen sehr geringen Teil der Ärzte. Ein zeitlich und räumlich derart gehäuftes Auftreten von Plausibilitätsverfahren, wie sie derzeit bei Pathologen beobachten können, spricht dafür, daß entweder eine gezielte Überprüfung der gesamten Berufsgruppe erfolgt oder daß die von der KV beobachteten Auffälligkeiten systembedingt sind. Wahrscheinlicher ist letzteres. Möglicherweise wird ein neuer Algorithmus im Überwachungsprogramm der Kassenärztlichen Vereinigung benutzt, der jetzt zu der neuen Plausibilitätswelle geführt hat. 

 

Mündlichen Äußerungen der KV-Mitarbeiter ist zu entnehmen, daß dort die Stellungnahmen der angeschriebenen Pathologen gesammelt werden und sodann von einer Arbeitsgruppe über das Vorgehen gegenüber den Pathologen entschieden wird. Diese Entscheidung wird erst im April oder Mai 2019 fallen.

 

Ich halte es für erforderlich, daß die Pathologen sich sachgerecht gegen den (mehr oder weniger unausgesprochenen) Vorwurf der Falschabrechnung wehren und dabei vor allem nicht in Verteidigungsvorbringen verfallen, das für die gesamte Berufsgruppe schädlich ist. Insbesondere sollte die Verteidigung nicht darauf hinauslaufen, daß die Arbeitsleistung des Pathologen in den bundeseinheitlichen Prüfzeiten der einzelnen EMB-Ziffern zu hoch bewertet sei. Eine solche Überbewertung hätte nämlich berufspolitisch gegebenenfalls zur Folge, daß die Punktzahlen für histologische Leistungen im EBM abgewertet würden. Im Übrigen hat das Argument auch keine besondere befreiende Wirkung, weil die Kassenärztlichen Vereinigungen dieses Argument natürlich aus einer Vielzahl von Verfahren kennen und es allgemein als Schutzbehauptung werten. Da die Pathologie Besonderheiten aufweist, die sie stark von anderen Fächern unterscheidet, benötigen wir solche Schutzbehauptungen auch gar nicht, sondern können uns mit echten, guten Argumenten verteidigen: 

 

Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Bildung von Tagesprofilen bei Pathologen keinerlei Aussagekraft über die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung an einem Tag hat. Die Regeln des Plausibilitätsverfahrens sind erkennbar für Ärzte mit Patientenkontakt geschaffen worden. Bei diesen beginnt ein Behandlungsfall, wenn ein Patient die Praxis betritt und er endet, wenn der Patient wieder geht. Dementsprechend erbringt ein Arzt mit Patientenkontakt in aller Regel seine vollständige Leistung an einem Patienten innerhalb eines Arbeitstages. 

 

Bei histologischen Untersuchungen sieht das natürlich ganz anders aus. Aufgrund der durchzuführenden technischen Schritte, insbesondere der Entwässerung, wird es eher die Ausnahme sein, daß ein Patientenmaterial am Tag des Eingangs abschließend befundet wird. Falls Immunhistochemie erforderlich ist oder im Rahmen der Befunderstellung zusätzliche Färbungen durchgeführt werden, aber auch bei Einholung einer Konsilmeinung oder bei schwieriger Aufbereitung umfangreicher Präparate verteilt sich die ärztliche Arbeitsleistung auf mehrere Tage, teilweise mit weiteren Tagen Pause dazwischen. 

 

Die meisten Praxisprogramme ordnen die Leistungsziffer einem bestimmten Arzt erst dann zu, wenn die Leistung abschließend erbracht ist. Das ist richtig so, da eine Leistung erst abgerechnet werden kann, wenn alle Leistungsteile vorliegen. Praktisch bedeutet das, daß erst beim Schreiben des diktierten Befundes und nachfolgende Eingabe der EBM-Ziffern durch das Sekretariat eine Zuordnung zu einem Arzt der Praxis erfolgt. 

 

Das würde bedeuten, daß jede Leistung erst an dem Tag gezählt wird, an dem der Befund die Praxis verläßt. Bereits dies wäre eine starke Verschiebung in den Fällen, in denen mehrere Kollegen in einer Praxis im Verlauf der Leistungserbringung am Präparat gearbeitet haben. Es kommt aber noch schlimmer: Die meisten Pathologieprogramme (verifiziert habe ich dies bisher bei DC Systeme und PathoPro) buchen die zu erfassenden Ziffern rückwirkend auf den Tag des Probeneingangs zurück, nicht auf den Tag der Befundung. Hierzu ein vereinfachtes Rechenbeispiel: 

 

In einer Gemeinschaftspraxis gehen an einem Montag 160 Einsendungen ein. An diesem Tag ist Arzt X überhaupt nicht in der Praxis, weil er Urlaub hat. Am Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag befundet Arzt X jeweils 40 Präparate. Die Leistungen an diesen Tagen sind jeweils mit 6 Stunden hinterlegt. Gegen eine solche Leistungserbringung ist natürlich überhaupt nichts einzuwenden. Dadurch, daß Dienstag bis Freitag jeweils 40 Befunde herausgehen und der Computer durch die Zuordnung der EBM-Ziffern auf den Eingang diese jeweils 40 Präparate auf Montag verbucht, ergibt sich für den Montag aus Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung ein Zeitprofil von 24 Stunden. Die Folge ist, daß automatisch gegen die Praxis ein Plausibilitätsverfahren eröffnet wird, weil Arbeitszeiten von 24 Stunden dort nicht akzeptiert werden. Der Arzt X ist dementsprechend von einer Honorarkürzung bedroht, weil er an einem Tag, an dem er gar nicht in der Praxis war, mehr als 24 Stunden gearbeitet haben soll. 

 

Ich habe mich natürlich gefragt, ob man nicht die Praxisprogramme verändern sollte, damit solche Zerrbilder vermieden werden. Das ist aber, wenn man es vollständig durchdenkt, nicht sinnvoll. Zunächst einmal muß darauf verwiesen werden, daß die Aufgabe eines Praxisprogramms nicht ist, der Kassenärztlichen Vereinigung ein möglichst aussagekräftiges Plausibilitätsverfahren zu ermöglichen. Ein Praxisprogramm soll vielmehr dem Pathologen helfen, seine Arbeit ordentlich zu machen und dient damit im Wesentlichen dem Patientenwohl. Davon abgesehen sind alle marktgängigen Pathologieprogramme durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung nach einem aufwendigen Prüfverfahren genehmigt worden. Wenn die KV durch die Verwendung dieser genehmigten Programme jetzt Probleme bekommt, hat sie dies also selbst zu vertreten. 

 

Eine Verlegung des Erfassungszeitraums ist auch im Abrechnungsinteresse der Pathologen nicht sinnvoll. Sie würde letztlich dazu führen, daß sogenannte „Aktenleichen“ entstehen könnten mit der Folge, daß etliche Untersuchungen nicht abgerechnet würden. Dies betrifft insbesondere Untersuchungen von Material, das kurz vor Quartalswechsel eingeht. An dieser Stelle will ich das nicht begründen; es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. 

 

Als Zwischenergebnis läßt sich festhalten, daß Auffälligkeiten in den Tagesprofilen von Pathologen systembedingt sind und unvermeidbar. 

 

Eine weitere Besonderheit bei Pathologen ist die sehr übersichtliche Zahl von Abrechnungsziffern. Jede normale Histologie wird mit den Ziffern 19310 und 19312 EBM abgerechnet. Diesen Ziffern ist jeweils die gleiche Anzahl von Minuten hinterlegt, ganz egal, was für ein Material untersucht wurde. Bei den Verhandlungen über die zeitliche Hinterlegung ist offenbar davon ausgegangen worden, daß man für die allgemeine Pathologie eine zeitliche Mischkalkulation annehmen muß und daß die hinterlegten Zeiten die Zeiten sind, die bei einer durchschnittlichen Histologie anfallen. Gegen diese Zeiten sollte man aus berufspolitischen Gründen auch nicht opponieren, siehe oben. 

 

Es gibt allerdings zwei Faktoren, die bei der Anwendung solcher durchschnittlicher Zeiten nicht berücksichtigt werden, nämlich der Faktor Arbeitsteilung und der Faktor Spezialisierung. 

 

Es läßt sich nicht abstreiten, daß in den allgemeinen Histologieziffern auch der Zuschnitt enthalten ist. Es gibt aber Praxen, in denen nicht alle Ärzte am Zuschnitt teilnehmen. Es ist absolut üblich, daß zum Beispiel ältere Kollegen oder Kollegen, die die Praxisorganisation wahrnehmen, durch interne Absprachen vom Zuschnitt befreit werden. Das bedeutet, daß sich ihre Tätigkeit im Mikroskopieren erschöpft. Bereits hierdurch kann eine Schieflage bei der Zuordnung von Tätigkeitszeiten entstehen. 

 

Unterschiede können sich auch dadurch ergeben, daß Pathologen sich spezialisieren beziehungsweise daß innerhalb der Praxis bestimmtes Untersuchungsgut einem Kollegen zugewiesen wird, der sich besonders gut damit auskennt. Handelt es sich bei solchem Untersuchungsgut um Material, das überdurchschnittlich schnell zu befunden ist, kommt es sofort zu Auffälligkeiten. Beispielhaft nenne ich Zahnzysten, gastroenterologisches Material und dermatologisches Einsendegut. Besonders Dermatohistologen kennen die Probleme mit der Plausibilität seit vielen Jahren; sie werden immer besonders schnell auffällig. 

 

Man muß der Kassenärztlichen Vereinigung also klarmachen, daß bei der Spezialisierung einzelner Praxismitglieder auf bestimmte pathologische Entitäten ein Zeitprofil entstehen kann, das auffällig ist, aber nicht beanstandenswert. Es ist das gute Recht jeder Praxis, die Verteilung der Arbeit unter den Ärzten völlig frei zu gestalten. Die von der KV gebildeten Zeitprofile dürfen nicht Anlaß sein, eine Praxis völlig neu organisieren zu müssen. Erst recht dürfen sie nicht Anlaß dafür sein, eine bestimmte Art von Patientenmaterial einem besonders erfahrenen und geeigneten Kollegen wegzunehmen. An diese Stelle sollte man sich gegen jede Bevormundung wehren, weil dies ein ganz empfindlicher Eingriff in die ärztliche Berufsfreiheit und die Freiheit der Diagnostik sein kann.

 

Die vorgenannten eher pathologiespezifischen Gründe für eine Zeitüberschreitung können durch Praxisbesonderheiten verstärkt werden. Als Beispiel ist zu nennen,

  • daß ein Weiterbildungsassistent vom Computer einem bestimmten Praxismitglied zugeordnet wird,
  • daß ein Arzt in fortgeschrittener Weiterbildung bereits eine ähnliche Schlagzahl liefert wie ein fertiger Pathologe,
  • daß ein Pathologe erkrankt und seine Arbeitsleistung durch die übrigen Ärzte aufgefangen werden muß,
  • daß ein angestellter Arzt kündigt und man nicht sofort einen Ersatzmann findet,
  • allgemein in allen Lebenslagen, in denen vorübergehend mehr Kassenarztsitze vorhanden sind als Ärzte,
  • allgemein in allen Lebenslagen, in denen ein Arzt längere Zeit ausfällt
  • allgemein bei saison- und organisationsbedingten Schwankungen.

Wie ist nun allgemein mit einem laufenden Plausibilitätsverfahren umzugehen?

 

a) Zunächst sollte man sich ab dem ersten Brief der KV anwaltlicher Hilfe bedienen. Mir ist klar, daß ich, wenn ich dies als Anwalt schreibe, einer gewissen Befangenheit verdächtigt werde. Ich kann darauf nur antworten, daß ich in Fällen, in denen es gelingt, bereits ganz am Anfang das Verfahren zu erledigen, weitaus weniger Geld verdiene als in Fällen, in denen das Kind mangels Sachkunde in den Brunnen geworfen wurde. Der Rat ist dementsprechend gut gemeint.

 

b) Spätestens sollte ein Anwalt zugezogen werden, wenn eine Einladung zu einem Gespräch von der KV kommt. Solche Tribunale gehen für Ärzte, die ungeschützt dort hingehen, fast immer ganz negativ aus.

 

c) Wie man auf das freundliche Schreiben der KV reagiert, muß situativ beurteilt werden. Manchmal macht es Sinn, sich die Ziffern und Fälle, die den jeweiligen Tagesprofilen hinterlegt sind, genau anzusehen, diese also bei der KV zunächst anzufordern, bevor man sich äußert. Manchmal ist die Verteidigungslinie so evident, daß man sie sofort vortragen kann.

 

d) Präventiv läßt sich natürlich auch einiges machen, zum Beispiel durch eine Umverteilung von Eingang in der Praxis zwischen den Praxispartnern. Das ist aber Fallfrage und man muß dabei nicht nur die Vermeidung eines Plausibilitätsverfahrens, sondern auch die Lebens- und Arbeitsqualität der Kollegen und das Patientenwohl im Auge haben.

 

e) Eine gute Möglichkeit, die zeitliche Gesamtbelastung der Praxis oder eines Kollegen zu ermitteln, ist die vom Bundesverband Deutscher Pathologen herausgegebene Excel-Tabelle, mit der man zumindest ganz gut Planspiele machen kann. Mitglieder des Bundesverbandes erhalten diese Tabelle bei der Geschäftsstelle, gern auch bei mir. Ich muß aber in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß ich nicht Justitiar des Bundesverbandes bin, wie dies vielfach in letzter Zeit angenommen wird. Ich arbeite mit dem Bundesverband gern und oft zusammen, bin aber selbständiger Anwalt. 

 

Falls Sie ein entsprechendes Schreiben von der KV erhalten haben, aber keinen Anwalt beauftragen möchten, würde ich mich freuen, wenn Sie mir das Schreiben trotzdem zusenden könnten. Dies erlaubt es, die Gefahren, die aus der derzeitigen Plausi-Welle resultieren, zum Wohle des Faches besser einschätzen zu können. Vertraulichkeit wird selbstverständlich zugesichert.

 

Mit freundlichen Grüßen

Renzelmann, Rechtsanwalt

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