Die Versicherer der Pathologen regulieren nach Wahrnehmung des Autors angebliche Haftungsfälle zu schnell und zu großzügig. Dies ist Folge mangelnder Sachkenntnis hinsichtlich des Faches und der besonderen Gegebenheiten der Pathologie im Arzthaftungsprozess.
1. Rechtsprechung zur Fehldiagnose
Die Rechtsprechung hat, was leider viel zu unbekannt ist, zu objektiv falschen Diagnosen von Pathologen und anderen Angehörigen von Grundlagenfächern eine differenzierte und recht positive Haltung entwickelt. Ein Diagnoseirrtum ist grundsätzlich nur mit Zurückhaltung als (einfacher) Behandlungsfehler zu werten, OLG Hamm VersR 2002, 315, 316; VersR 2002, 578, 579; OLG Naumburg NJW-RR 2002, 312, 313; OLG Oldenburg VersR 1991, 1141; OLG Köln VersR 1989, 631; OLG Stuttgart OLGR 2002, 251, 255.
Kurz zusammengefasst wird vertreten, dass eine objektiv unrichtige Diagnose dann kein Behandlungsfehler ist, wenn das begutachtete Material differentialdiagnostisch schwierig zu beurteilen ist. Hierzu ein Ausschnitt aus einem Landgerichtsurteil, dem ein der obergerichtlichen Rechtsprechung zu entnehmendes Wohlwollen eigen ist: "Es ist dem Beklagten nicht als ihm schuldhaft unterlaufener Fehler anzusehen, bei der Untersuchung im Juli 2000 die seinerzeit vorliegenden, auf die Morbus Hodgkin-Erkrankung hinweisenden Zellen als solche nicht erkannt und die Diagnose eines malignen Geschehens nicht gestellt zu haben. Dabei ist sich die Kammer der Tatsache bewusst, dass es seinerzeit für einen erfahrenen Pathologen durchaus möglich gewesen wäre, die Tumorzellen im streitgegenständlichen Präparat zu erkennen ... Gleichwohl ist ... ein Verschulden des Beklagten nicht anzunehmen. Die Sachverständigen haben eingehend und überzeugend dargelegt, dass und weshalb die Diagnose eines bösartigen Lymphtumors eine der schwierigsten Aufgaben in der Pathologie darstellt. Die Fähigkeit, diese Aufgabe zu bewältigen, hängt dabei nicht von der Beherrschung standardmäßigen Lehrbuchwissens allein ab, sondern wird entscheidend von der individuellen Erfahrung des untersuchenden Arztes geprägt ... Bereits vor diesem Hintergrund ist in Bezug auf die Annahme eines dem Untersucher vorzuwerfenden Fehlverhaltens gewisse Zurückhaltung geboten ..."
Dies bedeutet in einer Vielzahl von Fällen, in denen diese Rechtsprechung im Prozess nicht vorgetragen wird, dass Instanzgerichte unrichtigerweise Pathologen zur Schadensregulierung verurteilen. In aller Deutlichkeit sei noch einmal die rechtlich richtige Formel genannt: Der Pathologe schuldet seinem Patienten keine richtige Diagnose, sondern lediglich ein ernsthaftes Bemühen um eine möglichst richtige Diagnose.
2. Kausalität
Etliche Arzthaftungsklagen gegen Pathologen scheitern am fehlenden Kausalitätsnachweis. Hierbei ist zu unterscheiden:
Bei falsch positiven Diagnosen wird der Patient ohne Indikation medizinischen Behandlungen unterworfen, die er nicht benötigt und die ihrerseits einen Gesundheitsschaden hervorrufen (Mammaamputation, Ausräumen von Lymphknoten, Bestrahlung, Chemotherapie). Ein durch den Behandlungsfehler hervorgerufener Körperschaden liegt somit auf der Hand.
Bei falsch negativen Diagnosen spielt im Wesentlichen die übersehene und hierdurch verspätet erkannte Krebserkrankung eine Rolle. Hier hat der Patient den Nachweis zu führen, dass es bei früherer Erkennung seiner Erkrankung einen anderen Behandlungs- und Heilungsverlauf gegeben hätte. Solch ein Nachweis ist in der Regel nicht zu führen, da z.B. eine Erhöhung der Mortalitätsrate von 60 auf 80 % nicht ausreicht. Der Richter braucht für sein Urteil eine Gewissheit von annähernd 100 %.
3. Beweislastumkehr beim groben Behandlungsfehler
Diese Kausalitätserwägungen gelten für den sogenannten einfachen Behandlungsfehler. Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung, wenn "ein Fehlverhalten vorliegt, das zwar nicht notwendig aus subjektiven, in der Person des Arztes liegenden Gründen, aber aus objektiver ärztlicher Sicht bei Anlegung des für einen Arzt geltenden Ausbildungs- und Wissensmaßstabs nicht mehr verständlich und verantwortbar erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt aus dieser Sicht schlechterdings nicht unterlaufen darf", so der Bundesgerichtshof im entsprechenden Grundsatzurteil. Liegt ein grober Behandlungsfehler vor, hat der Arzt zu beweisen, dass der vom Patienten beklagte Gesundheitsschaden nichts mit dem Behandlungsfehler zu tun hat. Dieser Beweis lässt sich nur führen, wenn eine alternative Schadensursache und deren Kausalität vorgetragen und bewiesen wird, was für gewöhnlich unmöglich ist.
Die Feststellung eines groben Behandlungsfehlers ist also der Super-GAU im Arzthaftungsprozess. Dabei gilt es insbesondere, die Sachverständigen aus dem universitären Bereich immer wieder darauf hinzuweisen, dass der Standard eines durchschnittlich ausgebildeten Facharztes anzulegen ist, der eine Vielzahl von Fällen in knapper Zeit zu beurteilen hat und dabei gewöhnlich auf das Material selbst und einen knappen Einsendeschein angewiesen ist, im Gegensatz zum Sachverständigen, dem eine komplette Gerichtsakte mit mehreren Vorgutachten und zentimeterdickem Schriftwechsel zur Verfügung steht. Den gerichtlichen Sachverständigen ist zu empfehlen, zunächst die Gerichtsakte völlig zu ignorieren und sich unbefangen einmal nur die Präparate anzusehen. Ein solches Vorgehen kommt der Objektivität sehr entgegen.
4. Dreieck Krankenhaus/Pathologe/Patient
Bei stationären Kassenpatienten, für die der Pathologe als Konsiliararzt des Krankenhauses tätig wird, besteht eine weitere Besonderheit:
Zwischen dem Pathologen und dem Patienten bestehen keinerlei vertragliche Beziehungen. Der Jurist wird zwar bei dem Konsiliararztvertrag an einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter denken, die Rechtsprechung hat diesen Gedanken aber bisher nicht geäußert.
Dies wirkt sich insbesondere im Fall der Probenverwechselung aus: Wenn nämlich nicht festgestellt werden kann, ob die Probe im Bereich des Pathologen oder im Bereich des Krankenhauses verwechselt wurde, hat der Patient keinen Schadenersatzanspruch gegen den Pathologen (mangels Vertrag), aber einen Schadenersatzanspruch gegen das Krankenhaus. Denn dieses haftet entweder für eigenes Verschulden oder für seinen Erfüllungsgehilfen, den Pathologen, und zwar gleichgültig, in wessen Verantwortungsbereich die Probe vertauscht wurde.
Das Krankenhaus hat seinerseits keinen Rückgriffsanspruch gegen den Pathologen, weil es ebenso wie der Patient nicht beweisen kann, wo das Vertauschen der Proben stattgefunden hat. In diesen Fällen haftet dementsprechend stets (und nur) das Krankenhaus.
Bei der Haftungsabgrenzung zum Krankenhaus gilt gleichwohl, dass zusätzliche Risiken entstehen, wenn das Krankenhaus ein QM-System hat, der Pathologe aber nicht. Denn wenn im Prozess das Krankenhaus einen Ablaufplan vorlegt, der eine Probenverwechslung geradezu ausschließt, und der Pathologe nicht mit einem ebensolchen Plan kontern kann, hat er (zumindest in den Köpfen der Richter) den schwarzen Peter. Die Zertifizierung bzw. Akkreditierung hilft darüber hinaus, Behandlungsfehler erst gar nicht entstehen zu lassen.
Zu weiteren Beziehungen zwischen QM und Haftung verweise ich auf meinen entsprechenden Artikel im Mitgliederhandbuch.