Mit den nachstehenden Ausführungen soll versucht werden, Zusammenhänge zwischen Qualitätsmanagement und Arzthaftung darzustellen. Synergieeffekte zeigen sich hierbei in dreierlei Hinsicht:
I. Fallgruppen
Bei der Arzthaftung von Pathologen lassen sich verschiedene Fallgruppen bilden:
1. Diagnosefehler
Die weitaus häufigste Haftungsquelle bei Pathologen resultiert aus objektiv falschen Diagnosen. Der Einfluss von QM-Systemen auf die Vermeidung von Diagnosefehlern bzw. Fehldiagnosen ist eher gering. In diesem Bereich sind Verbesserungen nur im Bereich der persönlichen Weiterbildung etwa im Rahmen von Ringversuchen oder Qualitätszirkeln möglich. In Zweifelsfällen ist eine Konsiliarmeinung einzuholen.
2. Fehler bei der Befundübermittlung
Eine weitere Fallgruppe, die bei Pathologen oft zu Arzthaftungsfällen führt, ist die unrichtige bzw. unvollständige Übermittlung von Untersuchungsbefunden. Besondere Haftungsrisiken bestehen bei der Schnellschnittuntersuchung. Hierzu folgender
Fall: Die ungeduldige Chirurgin[1]
Eine Patientin liegt mit Verdacht auf Mammatumor auf dem OP-Tisch. Es wird eine Biopsie gemacht. Der Pathologe begutachtet diese Biopsie in Form einer Schnellschnittdiagnose. Die Chirurgin hat es eilig, mit der Operation fortzufahren und ruft den Pathologen, der sich bei seiner Diagnose in diesem Moment nicht ganz sicher ist, mehrfach an. Was genau bei diesem Telefonat durch den Pathologen ausgeführt wird, ist im nachhinein streitig. Der Pathologe erinnert sich, von einem drüsigen, eventuell auch intraduktalen Karzinom gesprochen zu haben. Die Chirurgin sagt später aus, sie habe „invasives Karzinom" verstanden. Es kommt zur ( unnötigen ) Entfernung von 16 Lymphknoten.
Das Telefonat, bei dem das Mißverständnis auftritt, wird von keinem der beiden Ärzte dokumentiert.
Den Prozeß der Patientin gegen den Pathologen verliert dieser, da er nicht beweisen kann, was er tatsächlich am Telefon gesagt hat. Die Chirurgin tritt als Zeugin auf, während der Pathologe als Partei des Rechtsstreits nicht als Zeuge vernommen werden kann.
Wäre das Telefonat von dem Pathologen dokumentiert worden, hätte die Beweislage weitaus besser ausgesehen. Es wäre zu einer non-liquet-Situation gekommen mit der Folge, daß der Pathologe nicht verurteilt worden wäre. Die Einführung eines QM-Systems deckt solche Dokumentationslücken auf und führt dazu, daß entscheidende Vorgänge wie Telefonate dokumentiert werden.
3. Probenverwechslung
Eine vor allem im Laborbereich, aber auch in der Pathologie anzutreffende Fallgruppe stellt die Verwechslung von Patientenmaterial dar. Hierzu folgender
Fall: Krebs oder nicht Krebs
Ein Pathologe wird mit einer schwierigen Differentialdiagnose über ein Hautexzisat beauftragt. Vor ihm liegen zwei verschiedene Fälle mit jeweils Hausexzisaten. In dem einen Fall diagnostiziert er ein Melanom, im anderen ein Fibrom. Aus irgendeinem Grund werden die beiden Exzisate verwechselt. Es läßt sich im nachhinein nicht mehr feststellen, ob der Pathologe die beiden Exzisate selbst vertauscht hat oder ob er sie vom Praxispersonal bereits auf dem Tablett vertauscht erhalten hat. Feststellen läßt sich aber, daß es keine Strichkodierung bei den jeweiligen Proben gab, sondern nur ein Zettelsystem, dessen Hauptbestandteil der Einsenderschein ist.
Der Pathologe haftete in diesem Fall sowohl dem Patienten, der an Krebs erkrankt war, da mit der Behandlung verspätet begonnen wurde, als auch dem Patienten, der keinen Krebs hatte und bei dem unnötigerweise therapiert wurde.
In Fällen der Probenverwechslung geht es meist darum, wo die Probe verwechselt wurde. Wenn der Pathologe nicht in der Lage ist, die internen Abläufe ( wer hat die Probe wann und gibt sie an wen ) genau zu beschreiben und nachzuweisen, daß Sicherheitsmängel nicht auftreten können, haftet er nach dem Beweis des ersten Anscheins.
Probenverwechslung ist immer ein Zeichen für unzureichende Organisation. Ist der Einsender ein Krankenhaus, kann sich dieser meist exkulpieren, weil in fast sämtlichen Krankenhäusern bereits ein QM-System besteht. Den Schwarzen Peter hat dann der Pathologe mit dem unzureichenden Sicherheitsablauf.
4. Apparativ-technische Fehler
Ein QM-System kann keinen Maschinendefekt erkennen, aber eine unzulängliche apparative Ausstattung. Hierzu folgender
Fall: Der Richter und die MTA
Bei einer Laboruntersuchung zur Bestimmung des Phenylalamin-Werts eines Neugeborenen kommt ein, wie sich später herausstellt, falsches Ergebnis heraus. Dies führt zu verzögerter Behandlung, was zu einem erheblichen Entwicklungsrückstand des Kindes führt. Im Prozess geht es danach vor allem darum, wer die Fehlbestimmung zu vertreten hat. Das Labor hat kaum Aufzeichnungen über die Phenylalamin-Bestimmung. Bei der Vernehmung der mit der Sache befassten MTA vor Gericht ergibt sich folgendes:
a) Das Gerät, an dem die MTA die Phenylalamin-Bestimmung vorgenommen hat, hat nicht die Möglichkeit, Ergebnisse auszudrucken, sondern funktioniert durch Ablesen.
b) Befragt nach der Art und Weise, wie sie die Phenylalamin-Bestimmung durchgeführt hat, erklärt die MTA: „Wir machen das anhand dieser Broschüre." Die MTA legt eine etwas zerfledderte Betriebsanleitung für das Gerät vor, in der sich gerade hinsichtlich der Berechnung viele handschriftliche Änderungen befinden.
In Arzthaftungsfällen entscheidet sehr häufig der sogenannte „immer-so-Beweis". Da ärztliches Hilfspersonal sich im allgemeinen nicht an einen einzelnen Vorgang erinnern kann, gehen die Gerichte, wenn es um alltägliche Handgriffe geht, davon aus, daß alles richtig gelaufen ist, wenn allgemeine Handlungsanweisungen und Handlungsabläufe beschrieben werden.
Im zuvor geschilderten Fall lag eine apparative Ausstattung vor, die Ablesefehler begünstigte und außerdem eine eher schlichte Dokumentation der üblichen Arbeitsabläufe. Der Fall wurde gleichwohl zugunsten des Labors entscheiden. Mit den befassten Gutachtern wurde seinerzeit über Verbindlichkeit und Anwendbarkeit der sogenannten „Good Laboratory Practice" gestritten. Hierbei handelt es sich um bisher lediglich in der Literatur beschriebene Handlungsanweisungen, die keine Allgemeinverbindlichkeit beanspruchen können. Wäre bei dem betroffenen Labor ein QM-System vorhanden gewesen, wäre dieses lediglich an seinem eigenen System gemessen worden.
Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, daß in nahezu allen Fallgruppen Qualitätsmanagement die rechtliche Position des Pathologen verbessern kann.
II. Versicherungsstrategien
Wenn das Kind dann doch einmal in den Brunnen gefallen ist, kann die Akkreditierung / Zertifizierung bei den Verhandlungen mit Berufshaftpflichtversicherern gute Argumente liefern:
Arzthaftung bei Pathologen ist selten, aber teuer. Die gezahlten, bzw. ausgeurteilten Beträge sind vor allem im Rahmen der Krebsdiagnostik fast nie unter 20.000,-- € anzusiedeln und erreichen bis etwa 150.000,-- € pro Fall. Insbesondere bei tödlichem Ausgang für den Patienten sind die Gerichte hier sehr großzügig. Dies unterscheidet die Arzthaftung bei Pathologen deutlich von anderen Disziplinen. Bei Chirurgen etwa bewegen sich die Haftungssummen sehr oft im Bereich zwischen 1.000,-- und 5.000,-- €. Solche „Kleinfälle" sind in der Pathologie nahezu unbekannt.
Die Versicherer nehmen den Schadensfall gern zum Anlass, Beitragserhöhungen durchzusetzen. Sie kündigen den Vertrag fristgemäß und bieten gleichzeitig den Neuabschluss für mindestens verdoppelte Versicherungsprämien an. Teilweise sind auch Verdreifachungen oder Vervierfachungen vorgekommen. Bei den dann anstehenden Prämienverhandlungen hat es sich als positiv erwiesen, wenn der Arzt darauf verweisen konnte, daß er nunmehr ein Qualitätsmanagement-System installiert hatte, das für die Zukunft gleichgelagerte Schadensfälle verhindern kann.
III. Rechtliche Bedeutung des QM
Die rechtliche Behandlung des Qualitätsmanagements ist nicht einheitlich und befindet sich noch in der Rechtsentwicklung. Die Gerichte prüfen bei Arzthaftungsfällen in mehreren Stufen:
Zunächst geht es darum, ob die Regeln der ärztlichen Kunst eingehalten worden sind. Diese sind bestimmt durch den Facharztstandard, der den Patienten vertraglich geschuldet ist. Dieser wird ggf. näher konkretisiert durch Leitlinien und Richtlinien.
Ein Richter des OLG Schleswig hat auf dem 6. Deutschen Medizinrechtstag in Köln über Leitlinien gesprochen. Dieser Vortrag ist unrichtig und oberflächlich kommuniziert worden unter der Überschrift „Leitlinien für Ärzte nicht bindend!". Dies ist falsch, denn ein Arzt, der von Leitlinien abweicht, muss sehr genau erklären, warum er das tut. Im übrigen handelt es sich um juristische Spitzfindigkeiten. Der Instanzrichter bei Amtsgericht und Landgericht wird bei Abweichungen von den Leitlinien fast immer einen Behandlungsfehler annehmen, es sei denn, der alternative Weg bietet bessere Heilungschance für den Patienten, was aber vom Arzt bewiesen werden muss und in der Mehrzahl der Fälle nicht beweisbar ist.
Die Einführung eines Qualitätsmanagements ist bisher in verschiedenen Gesetzgebungsverfahren als gesetzlich zwingende Norm vorgesehen gewesen, hat sich aber bisher nicht bis in die richterliche Praxis durchgesetzt. Je nach Entwicklung des einzelnen Fachs und der Facharztgruppe kann aber Qualitätsmanagement in naher Zukunft Standard werden bzw. schon sein. Als Faustregel ist anzunehmen, daß ein Qualitätsmanagement dann zum ärztlichen Standard gehört, wenn die Mehrzahl der Fachärzte einer Facharztgruppe ein Qualitätsmanagement betreibt. Dies ist zumindest bei niedergelassenen Pathologen nach Einschätzung des Autors noch nicht der Fall, wird aber demnächst so sein.
IV. Fazit
Sobald ein Qualitätsmanagement in einer Facharztgruppe oder einer Leistungserbringergruppe allgemeiner Standard ist, unterliegt der Arzt, der kein Qualitätsmanagement installiert hat, wesentlich erhöhten Haftungsrisiken.
[1] Alle Fälle entstammen der Praxis des Autors und wurden zur Vereinfachung und Anonymisierung der Mandanten leicht abgewandelt.