Sehr geehrte Damen und Herren,
das Jahr 2023 beginnt mit politischen und rechtlichen Turbulenzen. Der Bundesgesundheitsminister findet nach Beruhigung der Corona-Lage jetzt Zeit, Themen in Angriff zu nehmen, die schon längere Zeit in der Ministerialbürokratie gekreist sind. Neben der sogenannten „Ambulantisierung“ (hierzu in der nächsten Ausgabe) geht es vor allem darum, die anhaltenden Praxiskäufe durch gewerbliche Anleger und MVZ-Ketten zu unterbinden oder zumindest zu erschweren. Dies ist erklärtes Ziel des Gesundheitsministers, das dieser auch bereits auf breiter Fläche veröffentlicht hat. Diese Veröffentlichungen haben bei vielen Praxisinhabern zu einer gewissen Torschlußpanik geführt. In ihren Kaufgesprächen nutzen die Praxiserwerber die Äußerungen Lauterbachs, um kurzfristige Abschlüsse herbeizuführen. Insofern hat der Medienvorstoß des Ministers das Gegenteil von dem erreicht, was eigentlich beabsichtigt war.
Lauterbachs Absichtserklärungen sind aber nicht nur ein Sturm im Wasserglas, sondern es ist sichtbar, daß auf breiter Front die Körperschaften und sogar die Justiz seine Bemühungen unterstützen wollen. Es scheint ein breiter Konsens zwischen den Entscheidungsträgern zu bestehen, die tatsächliche oder vermutete Kommerzialisierung des Gesundheitssystems zu unterbinden.
Bevor ich über die ersten Vorschläge zur Realisierung dieser Pläne berichte, möchte ich einen Blick in die Vergangenheit richten. Mancher fragt sich heute, was man eigentlich mit der Einführung der Medizinischen Versorgungszentren seinerzeit beabsichtigt hat. Diese erfolgte ja im Rahmen der Gesundheitsreform 2003, und zwar zunächst mit dem primären Ziel, die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und damit die Lohnnebenkosten dauerhaft zu senken. Ursprünglich waren die MVZ nicht dazu gedacht, daß Krankenhäuser und andere Player sich im ambulanten Bereich neue Märkte erschließen sollten. Von der Politik wurde angeführt, die MVZ seien erforderlich, weil viele Ärzte nicht als Unternehmer, sondern als Angestellte arbeiten wollten. Die Möglichkeit für niedergelassene Ärzte, andere Ärzte in ihrer Praxis anzustellen, gab es damals noch nicht. Sie wurde erst mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz 2007 eingeführt. Weiter wurde betont, die Einführung der MVZ ermögliche eine gemeinsame Behandlung von Patienten durch verschiedene Facharztgruppen (bis dahin waren Gemeinschaftspraxen nur unter Ärzten mit gleicher Facharztbezeichnung erlaubt). Auch die fachübergreifende Gemeinschaftspraxis wurde 2007 erlaubt. Eine echte fachübergreifende Zusammenarbeit bei den Patienten ist auch bei bestehenden MVZ nicht durchgängig erkennbar. Vielmehr arbeiten dort hauptsächlich Ärzte gleicher Fachgruppen Hand in Hand, was man auch in einer Gemeinschaftspraxis hätte erreichen können. Insgesamt läßt sich feststellen, daß man sämtliche Vorteile, die man sich durch die Einführung der MVZ im Jahr 2004 versprochen hatte, bereits im Jahr 2007 auch der Gemeinschaftspraxis verschaffte und damit die MVZ aus gesundheitspolitischer Sicht bereits drei Jahre nach ihrer Einführung obsolet wurden, ohne daß dies von der Öffentlichkeit bemerkt wurde.
Was tatsächlich der Anlaß für die Zulassung von medizinischen Versorgungszentren war, liegt etwas im Dunkeln. Anlaß war jedenfalls nicht, den Einstieg der Industrie in die kapitalistische Leistungserbringung zu ermöglichen, sondern – und das würde eher zu der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt passen – um auch dem Staat einen Einstieg in Teile des Marktes zu ermöglichen und damit zu einer teilweisen Verstaatlichung des ambulanten Medizinwesens zu kommen (damals fiel sehr häufig das Stichwort Polikliniken). Ganz sicher hat damals der Gesetzgeber einen Fehler gemacht, als er alle medizinischen Leistungserbringer als gründungsfähig für MVZ qualifiziert hat. Dies betraf zum Beispiel auch Taxifahrer, die Krankenfahrten machten und Hilfsmittelerbringer (prominentes Beispiel ist eine heute in ganz Deutschland präsente Diagnostikgruppe, die aus einem Windelhandel hervorging). Dieser Schritt ist später korrigiert worden, indem man den Kreis der Gründungsberechtigten im Wesentlichen auf niedergelassene Kassenärzte und Krankenhäuser reduzierte.
Es gab im Lauf der Zeit viele Korrekturen an dem MVZ-Modell, die zumeist dazu dienten, offenkundig gewordene Nachteile der niedergelassenen Ärzte gegenüber den MVZ zu beseitigen. Denn schließlich wollte man die niedergelassenen Ärzte nicht unbedingt schlechter stellen als die MVZ-Betreiber, was auch verfassungsrechtlich gar nicht erlaubt wäre.
Da dem Gesetzgeber bis zur jüngsten Entwicklung scheinbar nicht vorstellbar war, daß einmal jemand genug Geld haben könnte, um sich ein Plankrankenhaus leisten und mit diesem dann MVZ gründen zu können, ist die fortschreitende Entwicklung des Ausverkaufs von Arztpraxen besonders einiger Facharztgruppen lange übersehen beziehungsweise ignoriert worden. Erst in der Ära Spahn, mithin der letzten Legislaturperiode, wurden ernsthafte Bemühungen unternommen, die Entwicklung zu stoppen (zuletzt Gutachten von Ladurner e.a. für das BMG, 2020). Es gab auch bereits einen Gesetzentwurf, der die Ausbreitung der Ketten beschränken sollte. Dieser ist allerdings in letzter Sekunde – wahrscheinlich aufgrund von erfolgreicher Lobbyarbeit – gestoppt worden und lediglich bei den Zahnärzten zur Ausführung gekommen. Bei diesen war es zu diesem Zeitpunkt allerdings schon weitgehend wirkungslos. Schlagzeilen wie „Kaffeegigant Jacobs betreibt mehr als 500 Zahnarztpraxen“ sind ebenso verstörend wie alltäglich.
Das Kettenwesen ist an vielen Stellen ein Kettenunwesen geworden und die Vorwürfe, an einigen Stellen werde die Qualität der medizinischen Versorgung wirtschaftlichen Zielen unterworfen, erscheinen berechtigt. Ich denke zum Beispiel an die großen Augenarzt-Ketten, die möglicherweise deswegen gegründet werden, weil durch die Kontrolle und Weisungsgebundenheit der nunmehr angestellten ehemaligen niedergelassenen Augenärzte große Zahlen an Augenoperationen in ambulanten Operationszentren generiert werden, die ihre Patienten in Butterfahrt-ähnlicher Atmosphäre mit Bussen zu Hause abholen. Es scheint, als läge der eigentliche Wert der niedergelassenen Praxen in solchen Konstrukten in der Überweisung. Ähnliches könnte man vermuten bei Ketten, die niedergelassene Dermatologie-Praxen kaufen, um damit histologischen Eingang für die ebenfalls von diesen Ketten betriebenen Histopathologien generieren zu können. Hier gibt es eindeutig eine Lenkung von Patienten- und Materialströmen durch Zukäufe im klinischen Bereich. Bei Zahnarztpraxen funktioniert dieses System in Richtung Zahntechnik, bei HNO-Praxen in Richtung Hörgeräteakustik. Befinden sich die Großeinheiten auf klinischer Seite und Zuweisungsempfängerseite jeweils unter dem gleichen Konzerndach, sind solche Kickback-ähnlichen Konstrukte kaum erkennbar. Sie sind auch nicht unbedingt strafbar oder verboten, soweit sie nicht (sic!) durch Ärzte betrieben werden. Es handelt sich einfach um betriebswirtschaftliche Mechanismen, die über Masse und Großinvestition ohne Weiteres erreichbar sind. Man könnte von schlichten Synergieeffekten innerhalb der Konzerne sprechen, die nur aus der Sicht des kleinen Konkurrenten anstößig wirken.
Ob die Selbstverwaltungskörperschaften und die Politik diese Effekte in ihrer vollen Tragweise erfaßt haben, ist unklar. Zumindest aber hat man erkannt, daß die Entwicklung insgesamt unbefriedigend ist und kombiniert mit einem strukturellen Ärztemangel über kurz oder lang zu einem Praxensterben führt. Sie führt auch dazu, daß bestimmte Lockanreize, die zur Erhaltung einer flächendeckenden Ärzteversorgung gesetzt werden, wirkungslos sind, weil die Konzerne, die sich die Rosinen in den Ballungszentren herauspicken, hiermit nicht gelockt werden können. Das Instrumentarium der Kassenärztlichen Vereinigungen geht sowohl hinsichtlich der Drohqualität als auch hinsichtlich der Belohnungsqualität an den Konzernen vollkommen vorbei. Die Politik will ein funktionierendes Gesundheitssystem, die Krankenkassen wollen eine Verbilligung der Gesundheitsleistungen, die Ärztekammer will ärztliche Ethik und die Kassenärztliche Vereinigung will Kontrolle. Alle vier Wünsche werden zumindest durch Teile der Konzerninvestoren nicht erfüllt. Es liegt deshalb nahe, diese beim weiteren Wachstum zu behindern. Hier wäre natürlich das einfachste Mittel, einfach keine medizinischen Versorgungszentren mehr zuzulassen und dieses Rechtsinstitut mit Ausnahme der bereits existierenden, die Bestandsschutz genießen, einfach zu streichen. Dies wäre auch das einzige effektive Mittel, da alle weiteren Bemühungen, wie noch zu zeigen sein wird, zum Scheitern verurteilt sind. Dies ist allerdings politisch nicht gewollt. Man muß sich fragen, warum. Scheinbar ist nach wie vor der freie Arztberuf als einziges oder wesentliches Organisationsmittel der Berufsausübung nicht erwünscht. In diese Richtung gehen derzeit sehr viele Überlegungen, die darauf hinauslaufen, Ärzte gegenüber öffentlich-rechtlichen Leistungserbringern zu benachteiligen. Es gibt nach wie vor einen Hang zur Verstaatlichung des Gesundheitssystems, für die man sich etwas davon verspricht, die MVZ als Organisationsform aufrechtzuerhalten. Das Ziel ist also, weder die Ketten noch die Ärzte besonders zu begünstigen, sondern vielmehr einen dritten Weg zu beschreiten: einen Weg des Staates. Dem folgen auch die Vorschläge der Bundesärztekammer, die am 09.01.2023 in einem Positionspapier festgehalten und an die Landesärztekammern gesandt wurde. Die Inhalte wurden relativ schnell an die Presse durchgestochen und das Papier hat auch mittlerweile zumindest unter Fachleuten eine gewisse Verteilung gefunden. Das Schriftstück nennt sich „Positionen der Bundesärztekammer zum Regelungsbedarf für medizinische Versorgungszentren zur Begrenzung der Übernahme von MVZ durch fachfremde Finanzinvestoren und zur Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen und umfassenden ambulanten Versorgung“.
Ich stelle nachfolgend einige von der Bundesärztekammer vorgeschlagene Regelungsinhalte dar:
1.
Die Bundesärztekammer stellt richtig fest, daß bisher häufig fachgleiche MVZ gegründet wurden, die sich auf einzelne, lukrative Leistungen ihres Fachgebietes beschränken, anstatt sämtliche Kernleistungen des Fachgebietes zu erbringen. Dem kann man auch für die Pathologie zustimmen. Viele MVZ haben sich im Wesentlichen auf molekularpathologische, gynäkologisch-zytologische, dermatohistologische Leistungen oder Ähnliches spezialisiert, was sich insbesondere bei Teilentsperrungen oder der Ausschreibung von Kassenarztsitzen unangenehm bemerkbar macht. Immer häufiger werden dem Markt allgemeinpathologische Sitze entzogen, um in MVZ eingebracht zu werden und lediglich das Abrechnungsvolumen des MVZ für eine bestimmte Leistungsart oder die Untersuchung einer ganz bestimmten Entität zu erhöhen. Für die Allgemeinpathologen in der Fläche führt dies dazu, daß junge, niederlassungswillige Fachärzte sich nicht niederlassen können oder Angestellte aufgrund fehlender Abrechnungskapazitäten, aber bei ständig steigenden Fallzahlen, nicht ausreichend beschäftigt werden können, weil ständig Plausibilitätsverfahren drohen. In der Pathologie war dies in einigen KV-Bezirken (BaWü, Bayern) bereits sehr stark zu spüren.
Um diese Schieflage zu beseitigen, empfiehlt die Bundesärztekammer, zukünftig nur noch fachübergreifende MVZ zuzulassen.
Ich halte diesen Vorschlag für falsch. Das Merkmal „fachübergreifend“ war in der Gesetzesfassung von 2003 bereits erhalten und wurde später gestrichen, weil es sich nicht bewährt hatte. Es hat seinerzeit beispielsweise ein MVZ gegeben, das aus einer pulmologischen Praxis und einem Psychiater bestand. Der Raumteil, der in diesem MVZ dem Psychiater zugewiesen wurde, war eine Besenkammer, an deren Tür der Name des Psychiaters stand. All das, nur um ein MVZ gründen zu können, das fachübergreifend war.
Die Wiedereinführung des Merkmals „fachübergreifend“ benachteiligt gründungswillige niedergelassene Ärzte gegenüber den Ketten, erreicht also genau das Gegenteil dessen, was der Gesetzgeber jetzt eigentlich vorhat. Es wird zum Beispiel ein MVZ verboten, das zwei niedergelassene Pathologen miteinander betreiben wollen. Diese haben keine ernsthafte Chance, etwa einen Labormediziner oder einen Humangenetiker davon zu überzeugen, mit ihnen gemeinsam ein MVZ zu gründen. Auf der anderen Seite haben natürlich sämtliche Ketten eine Vielzahl von Pathologen, Humangenetiker, Labormediziner, Radiologen etc. Bei von Ketten betriebenen MVZ ist das Merkmal „fachübergreifend“ die Regel, bei von Vertragsärzten betriebenen MVZ die Ausnahme. Mit anderen Worten: Die Änderung stärkt die Finanzinvestoren und schwächt die Ärzteschaft.
Medizinische Versorgungszentren, die am 01.01.2023 bereits zugelassen sind, sollen bis zum 31.12.2032 unverändert als MVZ bestehenbleiben, auch wenn sie nicht fachübergreifend sind. Was nach diesem Enddatum gelten soll, teilt die Bundesärztekammer nicht mit.
2.
Der zweite Vorschlag geht dahin, daß zugelassene Krankenhäuser nur zur Gründung von MVZ berechtigt sind, die einen fachlichen Bezug zum Leistungsangebot des Krankenhauses bieten und sich in dem Einzugsgebiet des Krankenhauses befinden. Diese Regelung, die sicher die größte Brisanz besitzt, wird, wenn der Vorschlag Gesetz wird, für die am Tag der ersten Lesung im Deutschen Bundestag gegründeten MVZ nicht gelten, sondern nur für danach gegründete MVZ.
Hiermit soll natürlich verhindert werden, daß sich ein Industrieunternehmen oder wohlhabende Bürger ein Krankenhaus kaufen und damit in ganz Deutschland Arztpraxen aufsammeln. Der fachliche Bezug zum Leistungsangebot des Krankenhauses soll insbesondere diejenigen Investoren behindern, die Mini-Krankenhäuser mit nur wenigen Ärzten als Gründungsfähige benutzen. Man übersieht dabei, daß es bereits MVZ-Ketten und Groß-MVZ von Leistungserbringern gibt, die an allen möglichen Orten Krankenhäuser betreiben. Diese Investoren dürften von der Neuregelung nicht besonders beeindruckt sein. Für andere hingegen kann es das Aus bedeuten. Hierin liegt eine gewisse Gefahr, daß gute und verantwortungsbewußte Finanzinvestoren ausgesiebt werden, während andere, weniger vorbildliche, ihr (Un-)Wesen weitertreiben können. Das ganze Problem kann hiermit aber nicht gelöst werden. Ungelöst ist auch, ob das Verbot der Gründung neuer MVZ dadurch umgangen werden kann, daß man Praxen kauft und als weit entfernte Zweigpraxen in bestehende MVZ einbringt.
3.
Eine weitere Regelung schlägt die Bundesärztekammer hinsichtlich des Inhalts der von einem MVZ zu erbringenden Leistungen vor. Im Wortlaut: „Die Einhaltung der … Versorgungsaufträge, auch hinsichtlich aller Kernleistungen der erteilten Versorgungsaufträge, sind von der Kassenärztlichen Vereinigung bundeseinheitlich, insbesondere anhand der abgerechneten Fälle und anhand der Gebührenordnungspositionen mit den Angaben für den zur ärztlichen Leistungserbringung erforderlichen Zeitaufwand … zu prüfen.“
Das bedeutet für die Pathologie, daß es zu einer Stärkung der Allgemeinpathologie, zu einer flächendeckenden Verbesserung und Vervollständigung der Weiterbildung und zu einer besseren und gleichmäßigeren Versorgung der Einsender kommen könnte. Wie genau das in der Praxis durch die Kassenärztlichen Vereinigungen ausgestaltet wird, steht natürlich nicht fest. Der Ort der Regelung, nämlich der Paragraph, in dem geregelt ist, daß die Kassenärztlichen Vereinigungen einmal im Jahr kontrollieren müssen, ob alle Kassenarztsitze ausreichend betrieben werden, spricht leider eher dagegen, daß die Vorschrift wirklich in die Praxis umgesetzt wird. Denn diese Überprüfungen werden, soweit ersichtlich, in den meisten KV-Bezirken bisher nicht umgesetzt
4.
Als nächstes möchte die Bundesärztekammer eine in der Tat bestehende Regelungslücke schließen. Es wurde bisher häufig beklagt, daß zwar Ärzte bei Verletzung ihrer berufsrechtlichen Pflichten belangt werden können, für die Betreiber eines MVZ, so sie nicht zufällig auch Ärzte sind, das ärztliche Berufsrecht aber nicht gilt. Das macht eine berufsrechtliche Kontrolle von MVZ schwierig bis unmöglich. Zukünftig soll ein MVZ, in dem nicht gewährleistet ist, daß die dort tätigen Ärzte ihre berufsrechtlichen Pflichten einhalten können, seine Zulassung verlieren. Dies gilt ausweislich der Begründung der Bundesärztekammer insbesondere für Weisungen von Nichtärzten an Ärzte hinsichtlich derer ärztlichen Entscheidungen, die Ausrichtung des ärztlichen Handelns am Wohl der Patienten sowie die Beachtung der ärztlichen Sorgfaltspflichten.
Diese Norm könnte dazu führen, daß Ärzte, die in einem MVZ arbeiten, mehr Selbstbewußtsein entwickeln, wenn es um ihre ärztliche Unabhängigkeit geht. Ob die Norm in der Praxis tatsächlich Auswirkungen hat, kann man schlecht prognostizieren. Die Verhältnisse in manchen Krankenhäusern, in denen ja eine ähnliche Konstellation besteht, sprechen eher dagegen.
5.
Ein Kernstück der Vorschläge ist natürlich die zahlenmäßige Begrenzung der Kassenarztsitze, die ein Krankenhaus, das MVZ betreibt, insgesamt haben darf. Da sich diese Zahl am Stand der Bedarfsplanung im jeweiligen Bundesland und an der Facharztgruppe orientiert, dürfte sie in den meisten Fällen bei Pathologen (gesonderte fachärztliche Versorgung) bei fünf Prozent der Arztgruppe im KV-Bezirk liegen. Das bedeutet, daß dieser Punkt in der Praxis im Fall der Pathologie lediglich in sehr kleinen Bundesländern eine Rolle spielt. In Bremen und im Saarland könnte allerdings bereits die Übernahme einer einzigen Pathologiepraxis durch einen Investor auf diese Weise vereitelt werden.
Die Regelung könnte in manchen Fällen dazu führen, daß eine Praxis, bevor sie an ein MVZ veräußert werden kann, einzelne Kassenarztsitze „abwerfen“ muß. Hier ist wieder ein großer Spielplatz für beratende Anwälte eröffnet. Insgesamt halte ich die Regelung für nicht geglückt, da sie nicht für alle Facharztgruppen gleich wirkt. Es wäre besser gewesen, hier etwas weniger abstrakt zu arbeiten und eine konkrete Anzahl von Arztsitzen zu nennen oder die Beschränkung durch die Landesausschüsse regeln zu lassen.
6.
Es wird ein Verbot von Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen für MVZ statuiert. Dieses Verbot bezieht sich u.a. auf die Strohmann-Fälle, über die ich in Ausgabe 30 berichtet habe. Diese Ausgabe kann bei mir angefordert oder meiner Homepage entnommen werden. Das Abfließen von MVZ-Gewinnen in die Investorenkreise wird m.E. durch eine solche Regelung nicht behindert. Sie dürfte deswegen kaum praktische Auswirkungen haben. Praktische Auswirkungen hätte lediglich gehabt, bestimmten Personen den Erwerb von Krankenhäusern zu verbieten. Da aber so ziemlich jeder, der genug Geld hat, ein Krankenhaus kaufen kann, ist die Regelung bis auf den Ausschluß der Pharma- und Apothekerbranche sinnlos.
7.
Die weiteren Vorschläge der Bundesärztekammer sollen lediglich stichpunktartig erfaßt werden:
- Herstellung von Transparenz über die Inhaberschaft von MVZ,
- Möglichkeit von Disziplinarmaßnahmen der KV gegen MVZ (wie bisher gegen Ärzte),
- keine Konzeptbewerbung von MVZ im Ausschreibungsverfahren,
- Stärkung der Stellung des ärztlichen Leiters (Abberufung/Freistellung nur aus wichtigem Grund),
- Empfehlungen zu Zielvereinbarungen mit ärztlichen Leitern und deren Verbindlichkeit für den Arbeitgeber.
Soweit die Vorschläge der Bundesärztekammer, die nicht an allen Stellen effektiv und auch nicht vollständig erscheinen. So fehlt z.B. völlig eine Regelung, die Spekulationsgeschäfte bekämpft wie etwa die Einführung einer Spekulationssteuer oder eine Wiederverkaufssperre. Solche Regelungen gibt es ja auf anderen Gebieten wie etwa bei Immobiliengeschäften durchaus. Die übelsten Gesellen, die an der Medizin überhaupt nicht interessiert sind und nur ein schnelles Geschäft machen wollen, sind damit von den Maßnahmen gar nicht tangiert.
Es stellt sich abschließend die Frage, ob diese Vorschläge Gesetz werden, wenn ja, wann sie Gesetz werden und wie sich das auf den Markt der Praxiskäufe und Verkäufe auswirkt. Ganz grundsätzlich scheint zu gelten, daß durch die lange Bestandsschutz-Regelung diejenigen Investoren, die schon länger auf dem Markt sind, von den beabsichtigten Änderungen weniger beeinträchtigt sind als solche, die noch nicht richtig etabliert sind. Für verkaufswillige Praxisinhaber kommt die Initiative insofern zur Unzeit, als gerade die Verkaufspreise aus verschiedenen Gründen nachgegeben haben (Erhöhung der Leitzinsen, perspektivische Ergebnisverschlechterung z.B. durch IVDR, zu erwartenden Honorarabsenkung z.B. bei Molekularpathologie, Absinken des Investitionsdrucks bei der Laborindustrie nach Ende der Pandemie).
Was man aber ganz gut beurteilen kann, ist, inwieweit der jeweilige Investor von den beabsichtigten gesetzgeberischen Änderungen betroffen sein wird. Es gibt durchaus Investoren, die jetzt einen verstärkten Kaufdruck verspüren, während dies bei anderen nicht der Fall ist. Das ist natürlich hauptsächlich ein Punkt, der sich bei Verhandlungen über die Kaufpreishöhe auswirkt. Diese Erwägungen helfen nicht dabei, einzuschätzen, ob mit diesen gesetzlichen Änderungen noch in dieser Legislaturperiode zu rechnen ist und bis wann man spätestens verkaufen sollte, um mit dem Investor seiner Wahl noch abschließen zu können.
Diese Überlegungen betreffen vorrangig Praxisinhaber, die sich bereits in fortgeschrittenen Vertragsverhandlungen befinden oder eine Praxisübergabe in unmittelbarer Zukunft planen. Hier kann es erforderlich sein, laufende Vertragsverhandlungen zu forcieren und geplante Verkäufe vorzuziehen. Dies zu beurteilen, ist aber außerordentlich schwierig, da die eigentliche politische Diskussion noch nicht abgeschlossen ist. Andererseits sind gerade in den letzten Jahren Gesetzgebungsverfahren mit bisher unvorstellbarer Schnelligkeit durchs Parlament gewunken worden, insbesondere zur Zeit der Pandemie. Möglicherweise haben aber auch jetzt andere Themen eher Vorrang, etwa die Außen- und Umweltpolitik.
Den vielen Praxisinhabern (wahrscheinlich allen), die sich in letzter Zeit geistig mit der Frage des Praxisverkaufs beschäftigt haben, sei aber gesagt, daß unabhängig davon, ob dieses Gesetz kommt, ein teurer Praxisverkauf an einen Investor überhaupt nicht gewährleistet ist. Es handelt sich nicht um einen Automatismus, sondern im Moment noch um die Ausnahme, nicht die Regel. Der Fokus sollte nach wie vor auf dem Betreiben, nicht auf dem Verkaufen einer Arztpraxis liegen. Es ist durchaus noch möglich, freiwerdende Arztstellen mit Angestellten statt mit Partnern zu besetzen und hierdurch auf mittlere Sicht so viel Geld zu verdienen, daß ähnliche Summen wie bei einem Praxisverkauf erreicht werden. Jeder Verkauf sollte die bisherigen Erfahrungen mit dem potentiellen Käufer und die Qualität des Angebots berücksichtigen hinsichtlich
Zu Panikverkäufen besteht kein Anlaß.
Herzlichst Ihr C. Renzelmann