Neue Rechtsprechung zur Probenverwechslung

Ein neues und handwerklich sehr gutes Urteil des Landgerichts Göttingen vom 13.06.2017, 12 O 16/14, dürfte der Ausgangspunkt einer wesentlich differenzierteren Rechtsprechung zur Probenverwechslung sein als bisher. Vor diesem Urteil galt Folgendes:

 

Fall 1:

 

Der Patient ist gesetzlich versichert und hat einen totalen Aufnahmevertrag mit dem Krankenhaus. Der Pathologe wird als Konsiliararzt im Auftrag des Krankenhauses tätig. Bei dieser Fallgruppe haftet bei Probenverwechslung in jedem Fall das Krankenhaus, weil die Probe entweder in ihrem eigenen oder in dem Bereich des Pathologen, der Erfüllungsgehilfe des Krankenhauses ist, vertauscht wurde. Der Pathologe haftet nur dann, wenn der Patient beweist, daß die Probe von ihm schuldhaft verwechselt wurde.

 

Fall 2:

 

Bei stationären Wahlleistungspatienten und ambulanten Patienten besteht zwischen dem Pathologen und dem Patienten ein Behandlungsvertrag. Der Patient muß deshalb entweder den Pathologen oder das Krankenhaus oder beide verklagen und jeweils beweisen, daß die Probe im Machtbereich entweder des Pathologen oder des Krankenhauses schuldhaft vertauscht wurde. Ein solcher Beweis ist selten zu führen. 

 

Neue Rechtsprechung:

 

Nach dem neuen Urteil des Landgerichts Göttingen ist besonders die zweite Fallgruppe differenzierter zu beurteilen. Es ging in dem dort entschiedenen Fall um einen Dermatologen, der einem Patienten Biopsate aus der Schulter und im Bereich des Nackens entnommen hatte. Die beiden Biopsate, hier desselben Patienten, wurden in der Folgezeit vertauscht. Wo dies geschah, ist nicht abschließend geklärt. Erst nach einer in Vollnarkose durchgeführten Operation an der Schulter nebst Lymphknotenentfernung stellte sich heraus, daß das gefährliche Präparat nicht das von der Schulter war, sondern das aus dem Nacken. Der doch relativ große Eingriff an der Schulter war somit unnötig gewesen. 

 

Das Landgericht hat sich im Rahmen der Beweisaufnahme hauptsächlich mit den Verhältnissen in der Praxis des Dermatologen und nicht in der Pathologie beschäftigt. Da Probenverwechslungen immer ein Fall des voll beherrschbaren Risikos ist, muß derjenige, in dessen Bereich die Probe vertauscht wurde, beweisen, daß ausreichende Vorkehrungen gegen eine Probenverwechslung getroffen sind und diese Vorkehrungen durchgehend eingehalten werden. Dies gelingt für gewöhnlich durch den sogenannten „immer-so-Beweis“, meist durch Vernehmung der leitenden MTA/Sprechstundenhilfe. In der betroffenen Dermatologie gab es klare grundsätzliche Anweisungen z.B. zu der Frage, in welcher Reihenfolge die Biopsie durchzuführen ist (von oben nach unten, dann in Schreibrichtung). Auch für das Befüllen der Röhrchen und das Beschriften der Röhrchen gab es klare Anweisungen. 

 

Bei der Beweisaufnahme stellte sich dann aber heraus, daß die vernommene Sprechstundenhilfe nicht ganz frei von Unsicherheiten war, was das Prozedere anging. Auch der informatorisch vernommene beklagte Dermatologe konnte die Abläufe in seiner Praxis nicht fehlerfrei schildern. Das Gericht stellte ausdrücklich fest, daß der Arzt über die einzelnen von der Arzthelferin vorzunehmenden Verrichtungsschritte keine detaillierte Kenntnis hatte. 

 

Obwohl der vom Gericht hinzugezogene Sachverständige der Meinung war, das beim Dermatologen etablierte Prozedere sei nicht zu beanstanden, hat sich das Gericht dem nicht angeschlossen. Eine schuldhafte Pflichtverletzung stehe, da ein fehlerfreier Behandlungsablauf nicht bewiesen worden sei, zur Überzeugung des Gerichts fest. Aufgrund der Tatsache, daß ein Entlastungsbeweis geführt werden müsse und dieser Entlastungsbeweis nicht gelungen sei, sei der beklagte Dermatologe zu verurteilen. 

 

Der beteiligten Pathologie wurde in dem Fall der Streit verkündet. Hier hat das Gericht vor allem mit Darlegungslasten argumentiert. Der Dermatologe hätte im Einzelnen darlegen und beweisen müssen, daß (auch) bei der beteiligten Pathologie ein Pflichtenverstoß in Form einer fehleranfälligen Organisation vorgelegen habe. Dies sei nicht erfolgt, wodurch eine Haftung oder Mithaftung der Pathologie nicht ersichtlich sei.

 

 

Anmerkungen:

 

1.

 

Probenverwechslung ist Handeln im voll beherrschbaren Risiko und gilt als grober Behandlungsfehler. Das bedeutet, daß der Patient bei einer Probenverwechslung nicht beweisen muß, daß der Arzt etwas falsch gemacht hat, sondern der Arzt muß beweisen, daß seine organisatorischen Vorkehrungen eine Probenverwechslung so gut wie ausschließen. 

 

2.

 

Dieser Entlastungsbeweis gelingt über den sogenannten „immer-so-Beweis“. Dieser ist nur zu führen, wenn es in der Pathologie klar festgelegte Arbeitsabläufe gibt, die eine Verwechslung ausschließen, also möglichst eine Zertifizierung oder besser Akkreditierung. 

 

3.

 

Allein die Existenz eines QM-Systems reicht aber nicht, sondern im gerichtlichen Verfahren müssen sowohl die Mitarbeiter als auch der Pathologe bei der Befragung die genauen Abläufe auswendig schildern können. 

 

4.

 

Gelingt der Entlastungsbeweis nicht, reicht es nicht, auf andere Beteiligte (Kliniker, Krankenhaus) zu verweisen, wo die Verwechslung auch hätte stattfinden können, sondern man muß detailliert vortragen und beweisen, daß es tatsächlich dort geschehen ist. 

 

5.

 

Das bedeutet für die mündliche Verhandlung in Haftungsverfahren, in denen es um Verwechslung geht, daß sowohl die Zeugen als auch der beklagte Arzt sehr ordentlich auf die Verhandlung vorbereitet sein sollten. Das „coachen“ von Zeugen ist verboten, die detaillierte Vorbereitung eines Arztes durch einen Anwalt hingegen ist erlaubt. 

 

(zuerst erschienen in patho. 2.2018, S. 12)

 

Rechtsanwalt C. Renzelmann

Fachanwalt für Medizinrecht

RA@PathRecht.de

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