Rechtsinformationen für Pathologen

Ausgabe 25/2020 – Thema: Ausgleichszahlungen der Kassenärztlichen Vereinigungen nach dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

herzlich willkommen zur fünfundzwanzigsten Ausgabe meines Mandantenbriefs. Diesmal geht es um das erst am 27.03.20 vom Bundesrat angenommene COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz, insbesondere um die Regelungen, mit denen Kassenärzten, die einen Fallzahlrückgang zu verzeichnen haben, geholfen werden soll. 

 

A) Gesetzeslage

 

Konkret sind das die folgenden beiden Normen (Hervorhebungen und Kürzungen vom Verfasser):

 

Für extrabudgetäre Leistungen: § 87 a Abs. 3b SGB V

„Mindert sich das Gesamthonorar eines vertragsärztlichen Leistungserbringers um mehr als 10 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal und ist diese Honorarminderung in einem Fallzahlrückgang in Folge einer Pandemie… begründet, kann die Kassenärztliche Vereinigung eine befristete Ausgleichszahlung an den vertragsärztlichen Leistungserbringer leisten. Die Ausgleichszahlung ist beschränkt auf Leistungen, die gemäß Absatz 3 Satz 5 und 6 außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung vergütet werden. Die Ausgleichszahlung ist in der Höhe zu mindern, in der der vertragsärztliche Leistungserbringer Entschädigungen nach dem Infektionsschutzgesetz oder finanzielle Hilfen aufgrund anderer Anspruchsgrundlagen erhält. Die Aufwendungen für die Ausgleichszahlungen sind der Kassenärztlichen Vereinigung durch die Krankenkassen zeitnah zu erstatten. Die Kassenärztliche Vereinigung hat den Krankenkassen die zur Erstattung notwendigen Daten zur Verfügung zu stellen.“

 

Für die übrigen Leistungen: § 87b Abs. 2a SGB V

„Mindert sich in Folge einer Pandemie… die Fallzahl in einem die Fortführung der Arztpraxis gefährdenden Umfang, hat die Kassenärztliche Vereinigung im Benehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen im Verteilungsmaßstab zeitnah geeignete Regelungen zur Fortführung der vertragsärztlichen Tätigkeit des Leistungserbringers vorzusehen.“

 

 

B) Umsetzung in den Bundesländern

 

Erwartungsgemäß haben die kassenärztlichen Vereinigungen diese Rechtslage in sehr unterschiedlicher Weise, in unterschiedlichem Tempo und mit unterschiedlichen finanziellen Auswirkungen umgesetzt.

 

Die nachfolgende Übersicht beruht auf den Internetseiten der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung (Stand 21.04.2020). Soweit darüber hinaus an die Mitglieder Rundschreiben oder Mails zum Thema verschickt wurden, kann ich diese naturgemäß nicht berücksichtigen, weil sie mir nicht zur Verfügung stehen.

 

1) KV Baden-Württemberg

Baden-Württemberg hat sich erneut als Musterländle erwiesen und schnell und zupackend gehandelt. Man hat eine Härtefall¬regelung geschaffen, die Ärzten bei unveränderter Praxis¬konstellation einen Honorarausgleich von 90 Prozent des GKV-Kollektiv-Honorars (Details in Verhandlung) im Vorjahresquartal sichere. Man finde auch für Neupraxen und bei Konstellationsänderungen (Stichwort HPV) Lösungen. 

Der Rückgang der Fallzahl dürfe nicht auf verkürzte Präsenz¬zeiten aus anderen als pandemiebedingten Gründen zurückzuführen sein. Grundsätzlich müßten die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestsprechzeiten erfüllt sein. Die KV habe eine ähnliche Lösung für den Umsatz mit Privatpatienten auf Bundesebene angemahnt, da dieser für fachärztliche Praxen existentiell sei. Es werde ausgeschlossen, daß die pandemiebedingt niedrigere Fallzahl im Regelleistungsvolumen Basis für die Zukunft werde. Ein Antrag auf Ausgleichszahlungen sei nicht erforderlich, nur eine Meldung, falls andere Entschädigungen und Finanzhilfen in Anspruch genommen würden.

 

2) KV Bayern

Es war nichts zum Thema zu finden außer einer Verlinkung auf die Seiten der KBV.

 

3) KV Berlin

Der Vorstand der KV Berlin beabsichtige, von den gesetzlichen Möglichkeiten einer Ausgleichszahlung Gebrauch zu machen. Eine Stützung bei Honorareinbrüchen der extrabudgetären Versorgung könne nicht erfolgen, werde aber bei der KBV angeregt. Im Rahmen der budgetären Versorgung sei eine Stützung auf 85 Prozent der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung aus dem Vorjahresquartal geplant. Die entsprechenden Ausgleichszahlungen seien „als Kernprozeß im Rahmen der Entwicklung eines Pandemieplanes für das Land Berlin identifiziert“ und seien sichergestellt.

Zur Berechnung der Regelleistungsvolumina werde zu gegebener Zeit nicht auf die Zahlen von 2020, sondern von 2019 zurückgegriffen.

 

4) KV Brandenburg

In „KV Intern“ wird lediglich die Rechtslage dargestellt. Die Abschlagszahlungen laufen wie gewohnt weiter.

 

5) KV Bremen

Lediglich allgemeine und verkürzte Darstellung der neuen Rechtslage, bisher nichts zur konkreten Umsetzung.

 

6) KV Hamburg

Im frei zugänglichen Bereich der Homepage war nichts zu finden.

 

7) KV Hessen

Verweis auf den bereits existierenden HVM. Anträge können jetzt oder später formlos gestellt werden. Hinweis auf Unklarheiten im Gesetz und Verlinkung des Gesetzestextes nebst Begründung. Eine Entscheidung über Anträge sei erst nach Vorliegen des Honorarergebnisses des 2. Quartals 2020 möglich.

 

8) KV Mecklenburg-Vorpommern

Informationen sind nur für KV-Mitglieder zugänglich.

 

9) KV Niedersachsen

Darstellung der Rechtslage. Als Sofortmaßnahme habe die Vertreterversammlung die Fortzahlung der bisherigen Abschläge sowie erforderlichenfalls die Zahlung eines Sonderabschlages beschlossen, um die Liquidität der Praxen zu sichern. Wie fast alle KVen beklagt man die Unschärfe des Gesetzes und verweist auf laufende Verhandlungen mit der KBV.

 

10) KV Nordrhein

Hauptsächlich Verweis auf außerärztliche Förderungsmöglichkeiten, aber wertvoller Hinweis, daß die morbiditätsorientierte Gesamtvergütung trotz reduzierter Leistungsmenge an die Ärzte ausgezahlt werde und damit 2/3 der GKV-Umsätze zur Verfügung ständen. Die genaue Ausgestaltung müsse noch mit den Krankenkassenverbänden verhandelt und im Honorarverteilungsmaßstab fixiert werden (diesbezüglich liegt zunächst nur eine allgemeine Entschließung der Vertreterversammlung vor)

 

11) KV Rheinland-Pfalz

Kurzer Artikel zum Schutzschirm, darin die Sätze: „Der Rückgang von budgetierten und vorweg gezahlten Leistungen innerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung hat in der Regel keine oder nur geringe Auswirkungen auf die Honorare. Bei einem Leistungsrückgang werden durch steigende Punktwerte entsprechend höhere Preise für die erbrachten Leistungen gezahlt.“ Das ist nicht ganz richtig und hierin steckt Konfliktstoff.

 

12) KV des Saarlands

Nichts zu finden.

 

13) KV Sachsen

Keine Informationen vorhanden.

 

14) KV Sachsen-Anhalt

Die Prüfung aller Ansprüche von Praxen erfolge von Amts wegen durch die KV, es sei daher kein Antrag nötig. Die Ausgleichszahlung belaufe sich für extrabudgetäre Leistungen auf mindestens 90 % des Vorjahresquartals. Bei den übrigen Leistungen bemesse sie sich an der Honorardifferenz zwischen dem aktuellen und dem Vorjahresquartal. Eine unkomplizierte und vorbildliche Regelung.

 

15) KV Schleswig-Holstein

Extrabudgetär: Maximal 100% des Umsatzes des Vorjahresquartals. Konkrete Höhe hänge davon ab, inwieweit die Tätigkeit der Praxis aufrechterhalten bleibe und ob eine Infektionssprechstunde angeboten und dokumentiert werde. cave: Offenbar ist es schädlich, wenn einzelne Ärzte der Praxis an einem Tag nichts abrechnen („Tätigkeitstage“). cave2: U.a. beim Mammographiescreening müssen die Kassen noch zustimmen.

 

16) KV Thüringen

Keine Informationen.

 

17) KV Westfalen-Lippe

Unklarheit des Gesetzes wird beklagt, zunächst keine näheren Informationen.

 

Leser, die über weitere Informationen aus ihrem KV-Bereich verfügen, können diese gern an mich weiterleiten. Vielen Dank!

 

C) Bewertung  durch die Spitzenverbände

 

Die Regelungen werden von den meisten Spitzenverbänden der vertragsärztlichen Versorgung als unzureichend betrachtet. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung stört sich vor allem an der Anknüpfung an Fallzahlen anstatt an Umsatzzahlen. Sie fordert eine strukturerhaltende Umsatzgarantie. Der Spitzenverband Fachärzte Deutschland e.V. (SpiFa) hält die Maßnahmen für eine ambulante Versorgung für einen Anfang, aber unzureichend und fordert einen robusten Schutzschirm für die gesamte ambulante Versorgung in Deutschland. Der Hausärzteverband äußert sich konkreter und fordert Nachbesserungen insbesondere im Bereich der Betreuung über Telefon und Video, um existenzgefährdende Umsatzverluste vermeiden zu können.

 

D) Eigene Bewertung, pathologiespezifisch

 

Für Pathologen ergeben sich m.E. mehrere Sonderfaktoren, die nicht nur berufspolitisch von Belang sind, sondern auch im Rahmen einer konkreten Antragstellung in den einzelnen KV-Bezirken vorgetragen werden sollten:

 

1) Problem Kann-Bestimmung bei extrabudgetären Leistungen

Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Ausgleichszahlung bei extrabudgetären Leistungen als Kann-Bestimmung aufgenommen. Das bedeutet, daß voraussichtlich kein klagbarer Rechtsanspruch auf solche Zahlungen besteht, sondern nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung. Die KV Berlin z.B. geht nicht einmal soweit, sondern stellt von vornherein fest, daß keine Zahlungen gewährt werden. Das ist angreifbar, weil im Einzelfall kein Ermessen ausgeübt wird. Hier könnte sich daher eine Antragstellung lohnen.

Die Ausgestaltung als Kann-Bestimmung könnte auch dazu führen, daß im Einzelfall der Gleichheitssatz des Art. 3 Grundgesetz verletzt wird. Während im einen KV-Bezirk Ausgleichszahlungen gewährt werden, ist dies im anderen Bezirk nicht der Fall. Unabhängig von dieser Ungleichbehandlung der betroffenen Ärzte könnte durch eine solche Verwaltungspraxis ein starker Anreiz für Honorartaktiker bei KV-übergreifenden BAG und Teil-BAG sowie bei MVZ-Ketten geschaffen werden, Leistungen von einem KV-Bezirk zum anderen zu verlagern. Das betrifft große Teile des molekularpathologischen Markts, aber auch dermatohistologische Leistungen, Leistungen im Bereich des Mamma-Screenings und der Zervixdiagnostik.

 

2) Problem HPV-Screening

Die Anknüpfung an die Zahlen des Vorjahresquartals berücksichtigt nicht, daß das Zervixscreening erst mit Wirkung zum 01.01.2020 begonnen hat. Dies führt dazu, daß die Eingangszahlen des 1. Quartals 2020 verfälscht sind. Praxen, die erstmals umfangreiche HPV-Untersuchungen durchgeführt haben, an denen sie wegen nicht auskömmlicher Preise der Pharmafirmen nicht wirklich prosperieren, können optisch aussehen, als hätten sie einen Gewinnzuwachs, während sie in Wirklichkeit histologischen Eingang und damit Gewinn verlieren. Dies ist in der Kommunikation mit der KV deutlich zu machen, weil von dort aus solche Zusammenhänge nicht sichtbar sind.

 

3) Problem Fallzahl statt Punktzahl

Die gesetzliche Neuregelung (budgetär und außerbudgetär) ist auf Veränderungen bei den Eingangszahlen fixiert. Das ist ungünstig, weil bisher nach Auskunft der meisten Praxisinhaber gerade der Eingang wegbricht, der besonders lukrativ ist, weil er pro Fall die Abrechnung mehrerer Materialien ermöglicht (Dermatologie, Gastroenterologie) oder in einem günstigen Arbeits- / Honorarverhältnis steht (Zahnärzte). Es ist deshalb wichtig, bei einer Antragstellung nicht nur auf die Eingangszahlen, sondern zusätzlich auf den Rückgang der abrechenbaren EBM-Punkte zu verweisen, sofern man das schon absehen kann.

 

4) Problem sektorübergreifende Versorgung

Ein Sonderproblem bei Pathologen ist, daß diese sektorübergreifend versorgen. Sie versorgen nicht nur ambulante Ärzte, sondern auch Krankenhäuser mit ihren diagnostischen Leistungen. Für die Krankenhäuser wurden verschiedene Leistungen im Rahmen des Corona-Rettungsschirms durch die Bundesregierung aufgelegt. Man hat hier das Krankenhausfinanzierungsgesetz und das Krankenhausentgeltgesetz entsprechend geändert. Diese Leistungen kommen bei niedergelassenen Ärzten, die Krankenhäuser versorgen, naturgemäß nicht an, da sie von den Krankenhäusern nicht weitergeleitet werden und auch nicht weitergeleitet werden müssen. Da der KV-Umsatz bei vielen Pathologen etwa nur die Hälfte oder weniger des Gesamtumsatzes ausmacht, besteht dementsprechend für etwa 50% der Einnahmen überhaupt keine Kompensationsmöglichkeit. Pathologen sind deshalb auf die von den Kassenärztlichen Vereinigungen nach dem SGB V zu organisierenden Kompensationsleistungen in besonderem Maße angewiesen.

 

5) Problem „Nichtregelung“ in § 87a SGB V

Der Wortlaut bei der Regelung in § 87b Abs. 2a SGB V (budgetäre Leistungen) führt zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Rechtsanwendung. Zur Erinnerung: Diese Vorschrift lautet „Mindert sich in Folge einer Pandemie… die Fallzahl in einem die Fortführung der Arztpraxis gefährdenden Umfang, hat die Kassenärztliche Vereinigung im Benehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen im Verteilungsmaßstab zeitnah geeignete Regelungen zur Fortführung der vertragsärztlichen Tätigkeit des Leistungserbringers vorzusehen.“ Hier hat der Gesetzgeber eindeutig den schwarzen Peter an die Körperschaften weitergegeben. Es dürfte nicht mit einer Erhöhung des Punktwerts getan sein, denn wenn jemand durch die Pandemie überhaupt keine Leistung mehr erbringt, erhält er nichts aus der Gesamtvergütung (Null mal Null ist Null). Wie man hier geeignete Regelungen, und dies auch noch zeitnah, schaffen soll, ist rätselhaft. Welche Regelung auch immer die einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen treffen werden, irgend jemand wird sie anschließend angreifen und jahrelang dagegen prozessieren. Wichtig ist die Feststellung, daß die Weiterzahlung ungekürzter Abschläge durch einige KVen zwar freundlich ist, aber lediglich Liquidität und nicht Befreiung von Kosten schafft und somit auch die Gefahr einer Verschuldung gegenüber der KV ansteigen läßt.

 

E) Fazit

 

Die Regelungen zu den Ausgleichzahlungen sind kritisch zu sehen. Sieht man die Regelungen für budgetierte und nichtbudgetiere Leistungen im Zusammenhang, stellt sich heraus, daß es sich bei der einen um eine Kann-Regelung handelt und bei der anderen um einen Gummiparagraphen bzw. eine eher politische als rechtliche Anregung. Sehr zu beklagen sind die bereits absehbaren unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen KV-Bezirken, die zu Ungerechtigkeiten und Wettbewerbsverzerrungen führen werden.

 

Gleichwohl liefert der Gesetzgeber dem einzelnen Arzt einen Hebel, um zunächst einmal etwas zu fordern. Es empfiehlt sich in den meisten KV-Bezirken, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Ich habe bisher in drei KV-Bezirken solche Anträge gestellt, und zwar nicht allgemein, sondern in Eurobeträgen beziffert (mindestens X € zusätzlich zum festzusetzenden Honorar). Erfahrungsgemäß fokussiert und beschleunigt ein zielgerichtetes und klares Antragsverlangen die Sachbearbeitung. Wichtig ist wie immer auch, die in der Pathologie geltenden Sonderfaktoren darzustellen und das aus Unwissenheit resultierende Unverständnis für das Fach zu beseitigen.

 

Es ist in den meisten Fällen sinnvoll, den Antrag in den ersten Maitagen zu stellen, wenn mit den Zahlen für April die Statistik für den ersten vollen „Corona-Monat“ vorliegt.

 

Herzlichst Ihr

C. Renzelmann

 

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