RECHTSINFORMATIONEN FÜR PATHOLOGEN

Ausgabe 9/2018 - Thema: Die Begutachtung von Arzthaftungsfällen im Bereich der Pathologie - Eine Handreichung für gerichtliche Sachverständige

Die Gerichte verzeichnen seit Jahren einen Anstieg von Klageverfahren gegen Ärzte. Medienberichte, Patientenvereinigungen und aggressive Anwaltswerbung sorgen dafür, dass immer mehr Patienten, die mit ärztlicher Behandlung nicht zufrieden sind, die gerichtliche Auseinandersetzung suchen. Dies trifft auch die Gruppe der Pathologen. Im Verhältnis zu anderen Arztgruppen ist die Anzahl der Haftungsfälle noch gering. Wenn aber ein Patient gewinnt, werden von den Gerichten hohe Summen zuerkannt. Zunehmend ist zu beobachten, dass der Haftungsmaßstab, der an Pathologen angelegt wird, (zu) hoch ist. Der folgende Artikel soll durch das Gericht bestellten Gutachtern in Pathologie-Fällen helfen, fehlerhaftes Handeln von Pathologen medizinisch und rechtlich richtig einzuordnen. 

 

Arzthaftungsfälle in der Fallgruppe der Diagnosefehler unterliegen einem bestimmten juristischen Prüfschema, in dessen Licht die Beauftragung eines medizinischen Sach-verständigen zu sehen ist. Geprüft wird im Allgemeinen wie folgt:

  1. Ist die Diagnose des Pathologen überhaupt objektiv falsch? 
  2. Wenn ja: Ist dies dem diagnostizierenden Pathologen vorzuwerfen mit der Folge, dass eine rechtlich relevante Fehldiagnose vorliegt?
  3. Falls ja: Handelt es sich dabei um einen einfachen oder groben Behandlungsfehler?
  4. Sind dem Patienten durch diesen Behandlungsfehler Schäden entstanden?

Im Einzelnen:

 

1. Objektiv falsche Diagnose

Im ersten Schritt hat der gerichtlich bestellte Sachverständige zu prüfen, ob eine objektiv falsche Diagnose vorliegt. Dies setzt voraus, dass der Sachverständige selbst eine Diagnose an dem seinerzeit befundeten Material treffen kann, und zwar eine Diagnose, auf die er sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festlegt. Ist eine sichere Diagnose nicht möglich, ist dem Patienten bereits nicht der Nachweis einer objektiv falschen Diagnose gelungen mit der Folge, dass die Klage abzuweisen ist. 

 

2. Stellt die objektiv fehlerhafte Diagnose einen Behandlungsfehler dar?

Nicht jede falsche Diagnose ist gleichzeitig ein Behandlungsfehler. Dies resultiert aus der Rechtsnatur des Behandlungsvertrages als Dienst- und nicht als Werkvertrag. Beim Werkvertrag wird ein bestimmter Erfolg geschuldet, bei einem Dienstvertrag nur ein Bemühen. Für die Diagnose des Pathologen bedeutet das, dass dieser nicht ein objektiv richtiges Ergebnis schuldet, sondern lediglich ein an den Facharztstandard angelehntes Bemühen, ein richtiges Ergebnis zu erzielen. Eine objektiv falsche Diagnose kann deshalb durchaus ein nicht vorwerfbarer Diagnoseirrtum sein, der keinerlei Haftung begründet. Ein solcher liegt vor, wenn ein Arzt – gemessen an dem Facharztstandard seines Fachbereiches – die gebotenen Befunde erhoben und verwertbar gedeutet hat. Ist die Diagnose dagegen nicht bzw. nicht mehr vertretbar, liegt ein vorwerfbarer Diagnosefehler im Sinne eines einfachen Behandlungsfehlers vor, siehe zuletzt OLG München, Urteil vom 08.08.2013, 1 U 4549/12.

 

Bei der Orientierung am Facharztstandard ist zu beachten, dass dieser sich nicht an universitären Gegebenheiten bemisst, sondern am durchschnittlichen Standard eines niedergelassenen Pathologen bzw. eines Krankenhauspathologen, der an einem Krankenhaus der Allgemeinversorgung tätig ist. Da Sachverständige häufig aus dem universitären Bereich kommen, werden hier oft zu hohe Anforderungen gestellt. An eine niedergelassene Arztpraxis sind andere, manchmal höhere und manchmal niedrigere Anforderungen zu stellen als an ein Krankenhaus der Maximalversorgung. 

Zu beachten ist auch, dass der gerichtliche Gutachter bei seiner Begutachtung in Bezug auf das Präparat sozusagen vorgewarnt ist und dieses einer besonders intensiven und vorsichtigen Betrachtung unterzieht. Der verklagte Arzt hingegen hat das Präparat seinerzeit als eines unter vielen im täglichen Mengengeschäft gesehen. 

 

Insbesondere bei Präparaten, die differentialdiagnostisch schwierig sind, wird im Allgemeinen eine solche Vorwerfbarkeit nicht anzunehmen sein. Gleiches gilt für Präparate, deren unter Umständen gefährlicher Befund nur mit der langjährigen Erfahrung eines auf bestimmte Erkrankungen spezialisierten Pathologen richtig einzuordnen ist. 

 

Ganz allgemein gilt, dass nicht der heutige Begutachtungsstandard als Maßstab anzusetzen ist, sondern in einer ex-ante-Betrachtung der Standard, der zur Zeit der angegriffenen Diagnose gegolten hat. 

 

3. Einfacher oder grober Behandlungsfehler?

In nahezu jedem gerichtlichen Beweisbeschluss wird dem pathologischen Sachverständigen eine Aussage darüber abverlangt, ob es sich nun um einen einfachen oder groben Behandlungsfehler handelt. Dies ist bereits deshalb besonders schwierig, weil es sich bei der Bewertung, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt, um eine juristische Bewertung handelt, die nach herrschender Rechtsprechung allein der Tatrichter, nicht aber der Sachverständige, durchführen kann und soll. Die Vorsitzenden der Instanzgerichte tun sich hiermit sehr schwer und versuchen natürlich im Ergebnis doch, die Bewertung auf die Sachverständigen abzuschieben. Diese haben ebenfalls Probleme mit der Einordnung und nehmen diese mit teilweise ganz sachfremden Erwägungen vor. 

 

Grundsätzlich liegt ein grober Behandlungsfehler vor, wenn die Diagnose nicht nur unvertretbar, sondern schlechterdings unverständlich ist. Das bedeutet, dass der einfache Behandlungsfehler die Regel, der grobe Behandlungsfehler hingegen die Ausnahme ist. Leider ergibt sich aus den Prozessen der letzten zwei bis drei Jahre, dass die pathologischen Sachverständigen dazu neigen, auch bei ganz üblichen Fehlern einen groben Behand-lungsfehler anzunehmen, weil ja schließlich überhaupt kein Fehler irgendwie verständlich ist. Diese Herangehensweise ist aber falsch. 

 

Ich will nachfolgend einige Beispiele für falsche Erwägungen bei der Frage des groben Behandlungsfehlers geben:

a) In einem Rechtsstreit gegen einen Pathologen, der eine grob falsche Tumor-klassifikation vorgenommen hatte mit der Folge, dass der Patientin vermeidbar die Achselhöhlen ausgeräumt wurden, schrieb der Sachverständige, ein grober Be-handlungsfehler liege nicht vor. Ein solcher würde nur vorliegen, wenn der Pathologe das Präparat gar nicht begutachtet und gleichwohl eine Diagnose gestellt hätte.

Der Sachverständige hat hier die Frage des groben Behandlungsfehlers verwechselt mit der Frage, ob ein Befunderhebungsfehler vorliegt. Hierbei handelt es sich um eine völlig andere Fallgruppe, die bei Pathologen ausgesprochen selten ist und eigentlich im Zusammenhang mit der Pathologie nur dann vorkommt, wenn ein Kliniker keinen histologischen Befind einholt. Ob zukünftig die Gerichte einen Befunderhebungsfehler annehmen, wenn Kliniker oder Pathologen keine molekularpathologischen Befunde erheben, bleibt abzuwarten. Bisher gibt es hierfür keine Ansätze.

 

b) Ein anderer Sachverständiger hat aus der Tatsache, dass ein umfangreiches Material bei einem Schnellschnitt nicht vollständig durchgemustert wurde, einen Befunderhebungsfehler gesehen, weil der Herd nicht erkannt worden sei. Ein Befunderhebungsfehler liegt in solchen Fällen aber nicht vor, da das Material gesichtet worden ist. Welche Stelle des Materials nun genau betrachtet wird, liegt in der Diagnosefreiheit des befundenden Pathologen. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt nicht in der fehlenden Befunderhebung, sondern in der Falschbefundung.

 

c) Derselbe Sachverständige hat einen groben Behandlungsfehler wegen Übersehens eines Herdes von 0,5 cm Größe für grob behandlungsfehlerhaft erachtet, und zwar ohne nähere Begründung. Ich halte das nicht für zwingend, insbesondere bei größeren Präparaten.

 

d) Ein anderer Sachverständiger, ein Ordinarius für Pathologie, erklärte auf die Frage nach einem groben Behandlungsfehler, er habe das Präparat dreien seiner habili-tierten Oberärzte gezeigt. Diese seien genau wie der Praxispartner des verklagten Pathologen zum richtigen Ergebnis gekommen. Der Behandlungsfehler sei deshalb grob. 

Diese Schlussfolgerung ist überhaupt nicht zwingend. Sie erlaubt allenfalls die Aussage, dass die ursprüngliche Diagnose objektiv unrichtig war, nicht aber, dass eine 

solche Diagnose schlechthin nicht passieren dürfe.

 

e) Ein weiterer Sachverständiger beurteilte einen vorwerfbaren Diagnosefehler als groben Behandlungsfehler, weil schließlich der Patientin, deren Mamma vermeidbar amputiert wurde, ein sehr hoher Körperschaden entstanden sei. Hier wurde eindeutig nicht zwischen Behandlungsfehler, Kausalität und Schaden unterschieden, was ein grober juristischer Fehler ist. 

 

f) Ein anderer Sachverständiger verstieg sich zu der Aussage, ein grober Behandlungsfehler müsse vorliegen, da es ihm, dem Sachverständigen, bereits beim ersten Blick durchs Mikroskop gelungen sei, die zutreffende Diagnose zu stellen. Eine solche Begründung ist natürlich indiskutabel.

 

Es lässt sich zusammenfassend sagen, dass die richtige Einordnung des Behandlungsfehlers als grob fehlerhaft eine verantwortungsvolle und schwierige Aufgabe ist. Der Sachverständige sollte stets das Regel-Ausnahmeverhältnis vor Augen haben. Ein grober Behandlungsfehler sollte wirklich nur in Ausnahmefällen bejaht werden. In den klinischen Fächern sind gängige Beispiele die Amputation des falschen Beines, das Nähen einer Hundebisswunde, das Nichtabsetzen von Marcumar bei Heparin-Gabe usw.

 

Die Frage, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt, entscheidet viele Haftpflichtfälle. Sobald ein grober Behandlungsfehler vorliegt, hat der Arzt zu beweisen, dass die Schäden des Patienten nicht auf diesem Fehler beruhen. Ein solcher Beweis ist fast immer unmöglich und führt dann zum Prozessverlust für den Arzt. Besondere praktische Bedeutung hat dies bei falsch-negativen Krebsdiagnosen. 

 

Nachdem ich vorstehend Beispiele für unrichtige gutachterliche Äußerungen zum groben Behandlungsfehler gegeben habe, möchte ich aus einem Urteil des Landgerichts Görlitz vom 11.10.2013, 5 O 196/11, zitieren (vom beklagten Pathologen gewonnen). Der dort eingesetzte gerichtliche Sachverständige, ein Dermatologe, hat mit Augenmaß und großer Überzeugungskraft das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers verneint. Im Urteil liest sich das wie folgt:

 

„Der Sachverständige hat nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass aufgrund der Eigenart des Gesamtbildes eine Fehldeutung als gutartig habe passieren können. Gefordert sei zwar die maximale Aufmerksamkeit. Das Leben zeige aber, dass man nicht immer maximal aufmerksam sei. Das sei auch der Grund, warum solche Fehler immer wieder vorkämen, auch wenn dies in der Medizin folgenschwer sei. Keiner sei in der Lage, sich über einen ganzen Arbeitstag zu 100 % zu konzentrieren. Deswegen komme es zu Fehlern. Für die Einschätzung des Tumors als gutartig mag die überwiegende Lage der Tumorzellen in der Lederhaut und eine geringe Beteiligung der Oberhaut gesprochen haben. Das wesentliche Symptom, das hier für die bösartige Zellentwicklung gesprochen habe, sei hier der Umstand gewesen, dass es durch die Oberhaut hindurchgedrungene Zellen gegeben habe. Abweichend vom lehrbuchhaften Fall sei diese Erscheinung aber nur an einer Stelle des Präparates vorhanden gewesen, während man üblicherweise ein Durchwandern der Zellen der Oberhaut auf einer breiten Fläche habe. Bei der Untersuchung durch den Pathologen würden nicht die 20 einzelnen Kriterien der Reihe nach durchgeprüft, sondern es gehe um eine Mustererkennung. Er (der Sachverständige) vermute, dass der Befunder ein ganz eindeutiges Muster zu sehen geglaubt habe, obwohl bei korrektem Betrachten kein eindeutiges Muster vorliege. Vorliegend seien Pigmentzellen in der Oberlederhaut zu sehen gewesen und dies seien eigentlich klassische Muster bei einem Leberfleck. Es seien aber auch in die Oberhaut ausgewanderte Pigmentzellen zu sehen gewesen. Solche Muster seien suspekt. Er (der Sachverständige) vermute, dass der Befunder das übersehen habe. Ein solches Übersehen stelle einen Fehler dar; es sei aber ein Fehler, der passieren könne.“

 

Noch einmal sei darauf hingewiesen, dass nach der Vorstellung der Rechtsprechung der grobe Behandlungsfehler die Ausnahme ist. Ein zu leichtes Bejahen von groben Behandlungsfehlern kann im Einzelfall zu Ungerechtigkeiten führen. Bei entsprechender Häufung kann der ganzen Facharztgruppe ein erheblicher Schaden entstehen, sodass Pathologie bald nicht mehr versicherbar sein könnte. 

 

4. Kausalität und Schaden; Haftung des Sachverständigen

Die Gerichte lassen Sachverständige häufig auch zur Frage Stellung nehmen, welcher konkrete Schaden dem Patienten entstanden ist. Hier kann ein medizinischer Sachverständiger natürlich nur zu Körperschäden etwas sagen. Schwierig wird es, wenn Folgeschäden benannt werden, für deren Beurteilung ein Pathologe nicht mehr kompetent ist. Wenn also die Rede von internistischen Schäden ist oder ein Patient die Kontrolle über den Schließmuskel verliert u. ä., sollte ein pathologischer Sachverständiger stets darauf hinweisen, dass die zu begutachtende Frage außerhalb seines Fachgebietes liegt. Eine falsche Beurteilung in solchen Punkten kann sonst dazu führen, dass der Sachverständige für Fehler haftet.

 

Zum Stichwort Haftung: Jeder, der regelmäßig gerichtliche Gutachten erstattet, sollte dies auch seiner Haftpflichtversicherung mitteilen, damit gewährleistet ist, dass diese Tätigkeit versichert ist. Hier geht es insbesondere um die Absicherung gegenüber Vermögensschäden. 

 

Rechtsanwalt Claus Renzelmann

Fachanwalt für Medizinrecht

Fachanwalt für Erbrecht

 

www.PathRecht.de

Mail: RA@pathrecht.de

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