Rechtsinformationen für Pathologen

Ausgabe 2/2016 - Thema: Sitzeinziehung II

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

mein erstes Rundschreiben vom 25.01.2016 hat überwältigendes Interesse gefunden. Es sind – vor allem aufgrund der Aktualität der Situation – einige Fragen offengeblieben, die ich versucht habe, zu klären. Ich führe weiter aus wie folgt:

 

1.

Die von mir angegebene Zahl von 5.000 Fällen pro Quartal ist für die meisten KV-Bezirke zu hoch. Die neuesten Zahlen, die vorliegen, stammen aus dem Jahr 2013. Der Bundesverband Deutscher Pathologen hat mir Jahreszahlen (Anzahl der Behandlungsfälle je Arzt) für die einzelnen KV-Bezirke durchgegeben:

 

Schleswig-Holstein: 9.395,

Hamburg: 16.752,

Bremen: 17.585,

Niedersachsen: 13.260,

Westfalen-Lippe: 10.896,

Nordrhein: 9.778,

Hessen: 18.561,

Rheinland-Pfalz: 10.910,

Baden-Württemberg: 14.541,

Bayern: 10.786,

Berlin: 12.081,

Saarland: 10.190,

Mecklenburg-Vorpommern: 18.954,

Brandenburg: 14.499,

Sachsen-Anhalt: 8.888,

Thüringen: 11.462,

Sachsen: 17.777.

 

Die Bundes-KV gibt auf ihrer Homepage keine frei verfügbaren Zahlen für die Pathologen an, da offenbar diese Facharztgruppe zu klein ist, um sich statistisch mit ihr zu befassen.

 

2.

Wie diese Zahlen ermittelt wurden, ist unklar. Ich konnte teilweise die Zahlen größenordnungsmäßig abgleichen mit Praxen, von denen mir Abrechnungsbescheide vorliegen. Es spricht einiges dafür, dass Leistungen der gynäkologischen Zytologie nicht in diesen Fallzahlen enthalten sind.

 

Es handelt sich um Behandlungsfälle. Definitionsgemäß liegt ein Behandlungsfall vor bei Behandlung desselben Patienten, der bei derselben Krankenkasse versichert ist, in demselben Quartal durch dieselbe Praxis. Das bedeutet, dass bei einem Vergleich mit den eigenen Zah-len des jeweiligen Pathologen wahrscheinlich noch einige Histologien, die im Einzelfall beim selben Patienten im selben Quartal durchgeführt wurden, abzuziehen sind.

 

3.

Um zu ermitteln, ob ein Pathologensitz in Gefahr ist, empfiehlt sich folgendes Vorgehen: Der für die jeweilige KV angegebene Jahreswert ist durch zwei zu teilen. Wird diese Zahl durch jeden Arzt der Praxis erreicht, hat die Kassenärztliche Vereinigung keine Chance, den Sitz einzuziehen, auch nicht hälftig. Teilt man nun diese hälftige Jahreszahl des jeweiligen KV-Bezirks Zahl durch 220 (Arbeitstage), ergibt sich die Zahl der Histologien, die man arbeitstäglich machen sollte. Liegt die eigene Zahl deutlich darunter, könnte ein Problem bestehen.

 

Ein Rechenbeispiel:

Ein Pathologe aus Brandenburg hat jährlich 10.000 KV-Fälle. Der Durchschnittswert in Brandenburg betrug 2013 14.499 Fälle. Zu erreichen waren somit 7.250 Fälle. Der Pathologe liegt darüber, hat also retrospektiv kein Problem. Um auch in Zukunft diesen Wert zu erreichen, teilt er den Minimalwert von 7.250 durch 220, was 33 Fälle pro Arbeitstag ergibt. Um Unsicherheiten durch jährliche Schwankungen zu vermeiden, nimmt er sich vor, arbeitstäglich 35-40 KV-Fälle zu erreichen.

 

4.

Die Zahlenspielereien und meine Gespräche mit vielen Pathologen haben klar gezeigt, dass das Anknüpfen an reine Behandlungsfallzahlen zu völlig verfälschten Ergebnissen führt. Vor allem mittlere Praxen mit einem umfangreichen Krankenhausgeschäft haben Darstellungsprobleme, obwohl sie in hervorragender Weise an der kassenärztlichen Versorgung teilneh-men. Nach meiner Auffassung kommt eine Sitzeinziehung überhaupt nur in Betracht, wenn eine differenzierte Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Arztpraxis erfolgt. Da eine Sitzeinziehung der massivste Eingriff ist, der im Kassenarztrecht möglich ist, erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine möglichst große Einzelfallgerechtigkeit. Die Ermittlung der Frage, ob genug Leistungen erbracht werden, kann daher ausschließlich entweder nach EBM-Punkten oder nach Minuten erfolgen. Eine Verwendung von Fallzahlen verbietet sich.

 

5.

Die Gefahr flächendeckender Sitzeinziehungen ist noch aus einem anderen Grund gering: Bei einer Sitzeinziehung muss der jeweilige Arzt entschädigt werden. Nach dem Gesetzestext ist der Verkehrswert der Praxis zu entschädigen, bei Einziehung eines halben Sitzes also der halbe Verkehrswert (in Form des Fortführungswerts) des Praxisanteils des jeweiligen Arztes. Hierbei ist nicht nur Kassenumsatz zu berücksichtigen, sondern auch Privat- und Kranken-hausumsatz, da sich der Verkehrswert nicht nur nach dem Kassenumsatz bestimmt. Man kann man diesen grob ermitteln, indem man den letzten Jahresgewinn mit 1,1 multipliziert. Bei einer Einzelpraxis mit einem Jahresgewinn von 300.000,00 € ergäbe sich somit ein Ent-schädigungsbetrag in Höhe von 175.000,00 € für einen halben Sitz. Über solche Gelder verfügen die Kassenärztlichen Vereinigungen in ihrem ordentlichen Budget jedenfalls nicht.

 

Es ist deshalb zu erwarten, dass die vernünftigeren Kassenärztlichen Vereinigungen Bewertungsmethoden entwickeln, die nicht zu einer massenhaften Sitzeinziehung führen. Hierdurch würde ja auch die Patientenversorgung gefährdet.

 

6.

Es besteht somit kein Grund zur Panik, aber zur Wachsamkeit. Ich empfehle genaue Beobachtung der Maßnahmen, die durch die einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen ergriffen werden. Sobald diese irgendwelche Begehrlichkeiten zeigen, sollte in jedem Einzelfall heftigste Gegenwehr unsererseits erfolgen.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

gez. Renzelmann

Rechtsanwalt

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