Rechtsinformationen für Pathologen

Ausgabe 36/2022 – Thema: Update Ausgelagerte Praxisräume

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

in der 36. Ausgabe meines Informationsbriefs berichte ich über die Leistungserbringung an einem anderen als dem durch den Kassenarztsitz definierten Ort. Diese kann, sieht man von der Bildung überörtlicher Berufsausübungsgemeinschaften ab, im wesentlichen auf zweierlei Weise geschehen: Zum einen gibt es die Möglichkeit, sich eine Zweigpraxis genehmigen zu lassen. Dies ist sozusagen der Königsweg der Leistungserbringung an weiteren Praxisorten. Eine solche Genehmigung ist aber nicht immer einfach zu bekommen, da sich die Versorgung der am Ort der Zweigpraxis ansässigen Patienten durch die Zweigpraxis verbessern muß. So ist insbesondere im Bereich der Pathologie oft schwierig zu argumentieren. Die zweite Möglichkeit, von der heute die Rede sein soll, ist die Errichtung ausgelagerter Praxisräume. Ausgelagerte Praxisräume sind in den letzten Jahren aufgrund vielfältiger Rechtsprechung und einer restriktiven Verwaltungspraxis der Kassenärztlichen Vereinigungen zunehmend unattraktiv geworden. Ein neues Urteil des Bundessozialgerichts bringt hier eine gewisse Erleichterung und gibt Anlaß zu einer Neubewertung dieses Rechtsinstituts. 

 

Ausgelagerte Praxisräume müssen nicht wie eine Zweigpraxis vom Zulassungsausschuß genehmigt werden, sondern es genügt die Anzeige bei der Kassenärztlichen Vereinigung. Gleichwohl gestalten einige Kassenärztliche Vereinigungen entgegen dem Gesetzeswortlaut bereits die Anzeige als formalisiertes Verfahren, das in Wirklichkeit den Charakter eines Genehmigungsverfahrens hat. Insbesondere sollen Vertragsärzte, die das Anzeigeformular ausfüllen, eine Vielzahl von Zusicherungen abgeben, die vom Gesetz nicht gefordert sind und dementsprechend das Risiko eines Regresses schaffen. Solche toxischen Formulare werden beispielsweise durch die Kassenärztlichen Vereinigungen Westfalen-Lippe und Berlin benutzt. 

 

Die Errichtung von ausgelagerten Praxisräumen berührt insgesamt fünf Problemkreise: 

 

1.

Derjenige, der einem Kollegen ausgelagerte Praxisräume zur Verfügung stellt, kommt in die Gefahr, gewerbliche Einkünfte zu erzielen. Denn bei dem dazugehörigen Nutzungsverhältnis wird Personal und eine Laborinfrastruktur überlassen, aber es handelt sich nicht um eine ärztliche Leistung. Die Tätigkeit ist deshalb gewerblich. Ein solches „Ausleihen“ von Praxismitteln kann, wenn die Einkünfte hoch genug sind, zu einer Infektion sämtlicher weiterer Einkünfte der verleihenden Arztpraxis führen. Dieses Problem wird in der Regel so gelöst, daß man erst gar keinen Gewinn generiert und die Praxis-Infrastruktur zu einer Kostenmiete abgibt. Es bleibt dennoch ein wirtschaftlicher Vorteil erhalten, da insgesamt eine bessere Auslastung der Infrastruktur erfolgt mit der Folge, daß sich die eigenen Kosten vermindern. 

 

2.

Die Nutzung einer fremden Infrastruktur umfaßt zumeist auch das Personal. Hierbei handelt es sich naturgemäß um eine Personalüberlassung. Dies wurde bisher meist so umgangen, daß nur ausgewählte MTAs mit den Untersuchungen des Nutzers befaßt waren und dieser mit den MTAs eigene Arbeitsverträge, meist im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung, abschloß. Hier hilft ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 17.02.1993, 7 AZR 167/92 bei dem es um die Gebrauchsüberlassung von Flugzeugen einschließlich fliegenden Personals ging. Eine solche Gebrauchsüberlassung soll keine gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung darstellen. Sinn und Zweck eines solchen Überlassungsvertrages sei nämlich das Ausleihen des Flugzeuges und nicht vordringlich der Arbeitnehmer. In die gleiche Richtung geht ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 02.08.2006, 10 AZR 756/05. Hier ging es um die Vermietung von Asphaltkochern mit Bedienpersonal. Es handele sich um eine Bauleistung, nicht um eine Arbeitnehmervermittlung. Diese Rechtsprechung läßt sich zwanglos auch auf die Vermietung einer Laborinfrastruktur anwenden, bei der es im Wesentlichen um die Nutzung von Diagnosegeräten und die Verarbeitung von Chemikalien (Immunhistochemie) gehe. Die Gerichte haben hierbei die Interessenlage des Verleihers im Auge, der in aller Regel nicht bereit sein wird, sein Labor zur Verfügung zu stellen, damit ihm völlig unbekannte Personen dort arbeiten. Das „Ausleihen“ des Personals ist damit nicht Kernleistung des Vertrags, sondern lediglich Mittel zum Zweck. 

 

3.

Ein weiteres Problem ist die Erfüllung der Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung durch denjenigen, der ausgelagerte Praxisräume nutzt. Bei allem was dort geschieht (z.B. technischer Teil der molekularpathologischen Leistungserbringung, Immunhistochemie) handelt es sich um delegierbare Leistungen. Gleichwohl ist erforderlich, daß das Personal, auf das delegiert wird, überwacht wird. Wie dies aussieht, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Eine bloße telefonische Erreichbarkeit genügt nicht. Eine Art Rufbereitschaft und ein körperliches Aufhalten im unmittelbaren Umfeld der ausgelagerten Praxisräume dürfte erforderlich sein. Eine Überwachung des Personals durch denjenigen, der die Infrastruktur zur Verfügung stellt, genügt nicht.

 

4.

Im Jahr 2016 hatte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 11 KA 35/15, die Voraussetzungen ausgelagerter Praxisräume erheblich verschärft. Durch Richterrecht wurde hier die Anforderung gestellt, daß eine gleichzeitige Nutzung der Praxisräume durch den Ausleiher und den Entleiher nicht zulässig sei. Der Entleiher könne ausgelagerte Praxisräume lediglich dann nutzen, wenn die Mitnutzung anderer in räumlicher, personeller und organisatorischer Hinsicht ausgeschlossen sei. Dieses Urteil hat dann das Bundessozialgericht bestätigt, allerdings aus ganz anderen Gründen, weil bei der dortigen Fallgestaltung überhaupt keine ausgelagerten Praxisräume vorlägen, sondern eine Laborgemeinschaft. In einem obiter dictum teilte das Bundessozialgericht aber mit, daß es die Voraussetzung der ausschließlichen Nutzung nicht sehe, BSG, Urteil vom 08.08.2018, B 6 KA 24/17 R. 

 

Eine gemeinsame Nutzung von Laborräumen durch mehrere Nutzer ist demnach nach wie vor zulässig, soweit andere, etwa datenschutzrechtliche, Vorschriften ausreichend beachtet werden.

 

5.

Es war abermals das Landesozialgerichts Nordrhein-Westfalen, das in einem Urteil vom 11.03.2021, L 11 KA 50/18, das Recht der ausgelagerten Praxisräume massiv verschärfen wollte. Gemäß § 24 Abs. 5 der Zulassungsverordnung für Ärzte müssen ausgelagerte Praxisräume „in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz“ liegen. Bisher wurde von den Selbstverwaltungskörperschaften und der Rechtsprechung im Allgemeinen ein Abstand von bis zu 30 Autominuten für noch in räumlicher Nähe gehalten. Die Gesetzgebungsmaterialien sprechen diesbezüglich davon, daß Patienten nicht so weit fahren sollen, um ihren Arzt zu erreichen. Daß dies für die Pathologie überhaupt nicht gelten kann, hat von Anfang an niemanden interessiert. Die Rechtsanwendung ist insoweit vollkommen statisch. 

 

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat nun in dem vorzitierten Urteil ausgeführt, daß im dort entschiedenen Fall, in dem die beantragten ausgelagerten Praxisräume ca. zehn bis elf Kilometer entfernt waren, was einer Fahrtzeit von ca. elf bis fünfzehn Minuten entsprach, die räumliche Nähe zum Vertragsarztsitz nicht gegeben sei. Ausgelagerte Praxisräume dürften daher nicht betrieben werden. Dies hat das Bundessozialgericht in seinem unlängst veröffentlichten Urteil vom 06.04.2022, B 6 KA 12/21 R, zurückgewiesen. Dem Erfordernis der „räumlichen Nähe“ bei der Auslagerung von Praxisräumen sehe der Senat genüge getan, wenn die zeitliche Erreichbarkeit am Vertragsarztsitz innerhalb von maximal 30 Minuten möglich sei. Dies stelle sicher, daß der Vertragsarzt zur Durchführung seiner Sprechstunde und auch bei Notfällen am Vertragsarztsitz persönlich zur Leistungserbringung in angemessener Zeit zur Verfügung stehe. Es trage den unterschiedlichen Anforderungen an ländlich strukturierte Gebiete wie auch an dichtbesiedelte Großstadtgebiete hinreichend Rechnung. An der zur überholten berufsrechtlichen Vorgängerregelung vertretenen Ansicht, daß „in den Augen des Publikums“ eine organisatorisch einheitliche Praxis auch bei Auslagerung einer Praxisstätte vorliegen müsse, halte der Senat nicht fest. Engere Organisationsstrukturen seien durch Digitalisierung möglich geworden. Der Senat könne offenlassen, ob möglicherweise bei reinen Laboruntersuchungen, die ohne Arzt-Patienten-Kontakt in ausgelagerten Praxisräumen durchgeführt würden, im Einzelfall auch längere Wegzeiten als 30 Minuten in Betracht kommen. Darauf komme es hier nicht an, weil bereits die Grenze von 30 Minuten nicht erreicht werde. 

 

Dieses durchaus zukunftsorientierte und vernünftige Urteil wird ein wenig dadurch abgeschwächt, daß der Senat hier erklärt, bei Leistungen in auslagerten Praxisstätten sei es im Unterschied zur Zweigpraxis nur möglich, spezielle Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu erbringen. Dies schließt für die Pathologie die Erbringung des technischen Teils der Histologie (Anfertigung von Objektträgern etc.) im Grunde aus. Ausgelagerte Praxisräume werden somit im Wesentlichen für die Teilgebiete Molekularpathologie, Immunhistochemie und bestimmte technische Spezialleistung anderer Subspezialisierungen der Pathologie in Betracht kommen. 

 

Fazit: Ausgelagerte Praxisräume sind angesichts der letzten höchstgerichtlichen Rechtsprechung bei der Gestaltung der eigenen Praxis wieder im Rennen. Es bleibt jedoch dabei, daß die regreßsichere Einrichtung ausgelagerter Praxisräume große rechtliche, wirtschaftliche und medizinische Sorgfalt erfordert.

 

Ich wünsche Ihnen ein friedvolles und entspanntes Osterfest.

Herzlichst Ihr C. Renzelmann

 

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